„Im Hindukusch-Turnier in der Kreisklasse“

Ein ehemaliger Nachrichtenoffizier rechnet mit der deutschen Politik ab.

Düsseldorf. "Es gibt keine tragfähige Strategie für das deutsche Afghanistan-Abenteuer." Marc Lindemann weiß, wovon er spricht. Der ehemalige Nachrichtenoffizier war 2005 und 2009 in Kundus stationiert, hat die Entwicklung vom "ruhigen Norden" zum Kriegsschauplatz erlebt. Passend zur Afghanistan-Konferenz heute in London erscheint sein Buch "Unter Beschuss": Eine schonungslose Abrechnung mit dem Bundeswehr-Einsatz, eine Geschichte vom versäumten Wiederaufbau und der Heuchelei der Politik, die die Mission lange als humanitäre Mission verkaufte.

"Es ist keine schlüssige Begründung zu vernehmen, wozu deutsche Soldaten täglich ihr Leben riskieren und es mehr und mehr auch verlieren", resümiert der Hauptmann der Reserve.

Nach Erfahrung des Politikwissenschaftlers spielt die Bundeswehr im Kreise der beteiligten Nato-Staaten "im Hindukusch-Turnier in der Kreisklasse". Das deutsche Kriegsgerät sei der Bedrohung nicht angepasst. Die Zahl der "Staubfresser", jener Bundeswehrsoldaten, die rausgehen und die Sicherheit in der Region erhöhen sollen, sei beschämend gering - 240 Mann zählte Lindemann zwischen November 2008 und März 2009 in Kundus.

In den vergangenen drei Jahren sei es den Taliban gelungen, die Bundeswehr aus dem größten Teil der Fläche hinauszudrängen. "Die Vorgehensweise ist so einfach wie effektiv: Raketenangriffe aufs Lager", schreibt Lindemann. "Jeden Abend die gleichen Gedanken: Gehe ich noch vor der Dämmerung zum Essen, um beim Angriff schon einen gefüllten Magen zu haben? Wann rufe ich die Lieben zu Hause an, falls nach einem Angriff wieder die Verbindungen unterbrochen sind? Liegt die Ausrüstung griffbereit, sind die Stiefel geöffnet, um keine Sekunde zu verlieren?"

Fragen, die sich die Politik in Deutschland nicht stellt. Statt sich der katastrophalen Situation der Truppe zu widmen, würden sich Bundesregierung und Opposition politische Scharmützel liefern. Hart geht der Hauptmann mit Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ins Gericht, der bei Truppenbesuchen weder Interesse gezeigt noch Klartext geredet habe.

Minutiös beschreibt Marc Lindemann den - aus seiner Sicht - gerechtfertigten, aber verheerenden Angriff auf die beiden Tanklaster im September 2009 und berichtet von Soldaten, die vergeblich auf Rückendeckung durch den geschassten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan warteten. "Offiziere vom Schlag des ehemaligen Generalinspekteurs gingen nie durch reale Prüfungen eines Kampfeinsatzes."

Kritisch sieht der Hauptmann auch die Abzugsszenarien: "Würden wir uns jetzt zurückziehen und Afghanistan sich selbst überlassen, wären alle bisher gebrachten Opfer umsonst gewesen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort