„Es gibt auch Deutsche, die sich nicht integrieren wollen“

Joachim Gauck zu Integration, Protestkultur und einer erneuten Kandidatur zum Bundespräsidenten.

Wuppertal. Kaum ein gescheiterter Bundespräsidentenkandidat konnte so viele Sympathien auf sich vereinen wie Joachim Gauck nach seiner Niederlage gegen Christian Wulff - in Politik wie Gesellschaft. Vieles würde also für eine erneute Kandidatur des früheren DDR-Bürgerrechtlers in fünf Jahren sprechen. "Also, das kann ich mir nicht vorstellen", wiegelt er im Gespräch mit unserer Zeitung am Rande des Kapitalmarktforums der Deutschen Bank in Wuppertal zwar ab. Um dann mit einem Lachen hinzuzufügen: "Aber das konnte ich mir beim letzten Mal auch nicht vorstellen, und dann passierte es trotzdem."

Joachim Gauck ist ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nimmt. In der aktuellen Integrationsdebatte positioniert er sich auch klar: Es sei richtig gewesen, dass Bundespräsident Wulff deutliche Signale gesetzt habe. Die Politik müsse sehen, was bislang erreicht wurde, gleichzeitig aber die Probleme benennen.

"Es gibt nicht nur Muslime, die sich nicht integrieren wollen, sondern auch Deutsche. Über diese Probleme wurde in der Vergangenheit zu wenig kritisch geredet", so Gauck. Es müsse nicht nur gefördert, sondern auch gefordert werden. Die Balance stimme nicht. "Das Wenigste, was man wohl erwarten darf, ist, dass man sein Kind regelmäßig zur Schule schickt." Viele verwechselten Toleranz mit Gleichgültigkeit.

"Wir müssen unsere Werte achten. Und wir müssen den Menschen, die unsere Werte bekämpfen, das Handwerk legen." Die USA seien Modell für eine gelungene Integration. "Dort leben Menschen aus hoch unterschiedlichen Kulturen, aber alle zusammen fühlen sich als Bürger der USA. Trotzdem leben sie ihren Glauben und ihre heimische Kultur weiter." Zur deutschen Debatte sagt Gauck: "Wir müssen erwarten, dass sich Migranten Mühe geben, auf dem Boden des Grundgesetzes zu leben."

Mit Sorge beobachtet der evangelische Theologe die Politikverdrossenheit in Deutschland. "Der Politikverdruss liegt zum Teil an den Politikern", meint der 70-Jährige - "weil sie die komplizierten Sachverhalte nicht intensiv und offen genug kommunizieren".

Nicht offen kommuniziert wird von der Politik das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart21. Doch dazu will Gauck sich nicht äußern - war er doch selbst kurzzeitig als Schlichter im Gespräch, bevor Heiner Geißler die Aufgabe übernahm. "Kommen Sie mir nicht damit." Dann spricht er doch einige Worte darüber.

Nein, eine neue Protestkultur sieht der 70-Jährige nicht. "Wir haben keine neue, wir haben wieder mal eine Protestbewegung", sagt Gauck. Zu Zeiten der Friedensbewegung in den 1980er Jahren gegen die Raketenstationierung oder die Atompolitik seien indes weitaus mehr Menschen auf die Straße gegangen.

"Ich finde es gut, dass die Bürger nicht nur Zuschauer sind", betont Gauck. Mit Blick auf die Situation in Stuttgart sieht er jedoch eine gewisse Gefahr, wenn der Bürgerwille gegen die repräsentative Demokratie ausgespielt wird. "Der Bürger, der begeistert ist von Bürgeraktivitäten, muss auch Sorge dafür tragen, dass das Recht nicht beschädigt wird." Gleichzeitig betont der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde: "Wenn es eine gesetzlich mögliche Lösung gibt, aus einem bereits gefassten Beschluss wieder auszusteigen, kann ich damit auch umgehen."

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