„Dafür hat sich der Kampf gelohnt“

jubiläum Tausend bunte Dominosteine im Nieselregen: Notizen aus der deutschen Hauptstadt.

Berlin. Es ist so nasskalt und trüb wie vor 20 Jahren. Und genauso wie damals herrscht Geschiebe und Gedränge. 1989 stehen die Ostdeutschen nach der „Tagesschau“ an den Grenzübergängen Schlange. 2009 sind es die wiedervereinigten Berliner und Zehntausende Gäste aus aller Welt, die sich mit großen Regenschirmen unter der Quadriga knubbeln und gegenseitig Wärme spenden. Damals wie heute bleibt alles friedlich und manch einer tupft sich wieder mit dem Tempotaschentuch die Tränen der Rührung trocken.

Montagabend, 21.30 Uhr. Wir sind am Brandenburger Tor in Berlin. Da, wo Deutschland zu feiern versteht. Gerade eben sind sie tatsächlich gefallen, die stummen, bunten Hauptakteure der großen Erinnerungsparty im Jahr20 nach dem deutsch-deutschen Jubelereignis. 1000 Styropor-Stelen, liebevoll bemalt von Schulkindern, begleitet und finanziert meist von „Paten“ aus der Kulturszene und Unternehmenswelt, aufgebaut auf zwei Kilometern Länge zwischen Potsdamer Platz und Reichstag, fallen um wie riesige Domino-Steine.

Polens Ex-Gewerkschaftsführer und Präsident Lech Walesa und der früheren ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth auf der einen sowie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek auf der anderen Seite haben die farbenfrohe Kettenreaktion in zwei Etappen ausgelöst. Ein schönes, ein mächtiges, ein emotionales Symbol für den Fall der echten Mauer, die zu überwinden weit über 100 Menschen das Leben kostete.

Emotional – ein Wort, das man immer wieder hören sollte an diesem Tag, der so übervoll war mit Andachten, Tagungen, Empfängen, Aktionen und Reden. Erinnerungen kehrten zurück. Menschen erzählten, wie es damals war. Viele weinten. Und manche wunderten sich vielleicht, wo ihre Hoffnungen geblieben sind.

„Einfach dabei sein“, wollte Barbara Licha, als Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit Michail Gorbatschow, Lech Walesa und ehemaligen Bürgerrechtlern am Nachmittag über die Brücke am alten Grenzüberbang an der Bornholmer Straße läuft. Hier hatten die DDR-Grenzer am Abend des 9. November zum allerersten Mal die Schranken geöffnet, hier fiel der legendäre Satz „Wir fluten jetzt“. Die 68-Jährige Ostberlinerin hat früher ganz in der Nähe gewohnt, im Jahr des Mauerfalls aber war sie schon umgezogen. „Leider“, sagt Licha heute. „Wir haben damals den Mauerfall glatt verschlafen.“

Ganz wach an der Gedenkstätte an der Bernauer Straße ist dagegen der Bürgerrechtler Erhard Neubert. „Wir haben die Freiheit gewonnen!“, ruft er den Festgästen und den vielen ausländischen Journalisten zu. „And we won’t let it go“, wir werden sie nicht wieder verlieren, fügt die Übersetzerin eigenmächtig hinzu. Minuten später spannt Manfred Fischer, der Pfarrer der Weddinger Versöhnungsgemeinde am ehemaligen Grenzstreifen, in der Kapelle der Gedenkstätte den Bogen bis zu jenem anderen deutschen Gedenktag: „Neben der Sternstunde des Mauerfalls steht der dunkle und mit Schuld beladene 9. November 1938.“ Der Schandtag, als in Deutschland jüdische Synagogen brannten.

Dieses Kapital wollten die Regisseure am Abend auf dem Pariser Platz nicht aufschlagen. Auf der vom ZDF gekaperten und beeindruckend in Licht-Szene gesetzten Ost- und Westseite des Brandenburger Tors, sollte sie sich ergießen, die Sturzflut der kleinen und großen Gesten, der erhabenen Momente.

Der Franzose Sarkozy, der Russe Medwedew, die Amerikanerin Clinton, der Brite Brown und, natürlich, Angela Merkel; sie alle fanden wie wenige Meter weiter auch Ex-Präsident Michael Gorbatschow und Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher gediegene Worte der Dankbarkeit für die Tage des Glücks.

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