Ärzte debattieren über Hirntoddiagnostik

Hamburg (dpa) - Die Unregelmäßigkeiten um Organtransplantationen haben nicht nur die Bevölkerung verunsichert, sondern beschäftigen auch die Ärzte weiter. Auf einem Kongress für Notfall- und Intensivmedizin werden die Experten über ihre Haltung zur Organspende befragt.

Ein Blick in die Kongresstasche zeigt, wie sehr das Thema Organspende die Intensiv- und Notfallmediziner umtreibt: 15 Fragen sollen die Teilnehmer auf Bitten der Veranstalter beantworten, anonym. Sinngemäß heißt es: Würden Sie nach der Bestätigung des Hirntodes Ihre Organe spenden? Welche Gründe sprechen gegen eine Organspende? Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) erwartet bis zum Freitag rund 5000 Teilnehmer auf dem Kongress in Hamburg.

Die Auswertung dürfte spannend werden, werden doch jene Ärzte befragt, die den Hirntod eines Patienten auf der Intensivstation feststellen und seinen Körper dann gegebenenfalls auf die Entnahme von Organen vorbereiten. „Wir haben uns gesagt, wir nutzen den Anlass, uns einen Überblick zu verschaffen“, sagte DIVI-Präsident Michael Quintel.

Auch die Hirntod-Diagnostik ist Thema, dafür gibt es mehrere Gründe: So überarbeitet die Bundesärztekammer derzeit die „Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“. Quintel ist nach eigenen Angaben selbst Mitglied einer Kommission. Dann gibt es internationale Unterschiede, welche Untersuchungen Pflicht sein sollen bei der Hirntod-Diagnostik.

Diese ist aufwendig. Nach den deutschen Richtlinien werden verschiedene Reflexe an den Augen und im Gesicht überprüft. Auch die Ursache des Hirntodes muss geklärt werden - liegt zum Beispiel eine Hirnblutung vor, wo genau ist das Gehirn verletzt? Die Ergebnisse werden nach einer Wartezeit oder durch Zusatzverfahren wie ein EEG bestätigt oder überprüft, mehrere Mediziner sind beteiligt.

Diskutiert werden weitere Methoden, die den Hirntod bestätigen sollen. Dazu gehört die funktionelle Magnetresonanztomographie, mit der die Aktivität des Gehirns überprüft werden kann, oder die CT-Angiographie. Bei dieser kann mit Kontrastmittel untersucht werden, ob das Gehirn durchblutet ist oder nicht. Es gilt zu bestätigen: Sind die drei Hirnteile Großhirn, Hirnstamm und Kleinhirn wirklich für immer ausgefallen? Würden solche Methoden ein Mehr an Sicherheit geben oder könnte die Zeit zwischen Hirntod und Entnahme der Organe verkürzt werden? Viele Fragen sind noch offen.

In der Schweiz etwa ist die CT-Angiographie zugelassen, berichtete der Neurologe Prof. Walter Haupt in einem Vortrag. Er gab jedoch zu bedenken, dass das Verfahren noch eine zu hohe Fehlerquote aufweise. Er hält es nicht für praxisreif. Doch aus dem Publikum folgte der Einwurf: „Es ist der Bevölkerung einfach schwer klar zu machen, dass es ein paar Kilometer hinter der Grenze anders läuft.“

Nicht zuletzt müssen die Mediziner auf kritische Stimmen an der naturwissenschaftlichen Definition vom Tod eines Menschen reagieren. „Ist der Hirntod ein Todeskriterium? Das bleibt eine offene Diskussion“, sagte Quintel. Er selbst akzeptiere diese Definition. Aber: Hirntod-Kritiker führten an, dass es noch gewisse biologische Vorgänge bei den Patienten gebe. Etwa weil die Fingernägel noch wachsen oder die Patienten noch zucken oder schwitzen könnten (durch bestimmte Reflexe über das Rückenmark). „Das ist ein Standpunkt, der eine gewisse Popularität gewinnt, dass solange irgendwelche Lebensprozesse stattfinden, man nicht vom Tod reden kann.“ Er halte es für falsch, solche Strömungen nicht wahrzunehmen.

Auch der inzwischen pensionierte Neurologe Prof. Rudolf Janzen mahnte die Zuhörer eines Symposiums, sich mit den unterschiedlichen Konzepten von Tod und Organentnahme zu beschäftigen. Dazu gehöre, dass in einigen Ländern Organe nach einem nicht rückgängig machbaren Herzkreislaufstillstand entnommen werden dürfen. Laut Quintel ist das beispielsweise in Spanien der Fall, in Deutschland ist das Verfahren nicht erlaubt. In Fachkreisen werde diese Möglichkeit jedoch diskutiert, „um die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen, weil diese im drastischen Missverhältnis steht zur Zahl der benötigten Organe“.

Quintel hat Zweifel an dem Konzept. Aber er bittet die Teilnehmer des DIVI-Kongresses um ihre Meinung. Die letzte Frage auf dem Fragebogen lautet: „Glauben Sie, dass in Deutschland neben dem Hirntodkonzept auch ein Herztodkonzept diskutiert werden sollte?“ Die Ergebnisse der Befragung sollen laut Quintel „so schnell wie es geht und so früh wie möglich publiziert werden“.

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