Wenn Künstler zur Reise bitten

Die Urbanen Künste Ruhr bitten zu Tagestouren mit Künstlern. Dabei entdeckt Christian Odzuck bei Xanten die Nord- und Südsee.

Wenn Künstler zur Reise bitten
Foto: Helga Meister

Dinslaken. An der Grenze zwischen dem quirligen Ruhrgebiet und dem beschaulichen Niederrhein liegt Dinslaken, mit 70 000 Einwohnern nicht gerade der Nabel der Welt. Hier startet ein Kulturprojekt unter dem Namen „Reisen im Kreis“, im Kreis Wesel nämlich. Die Kunst besteht nicht aus Skulpturen an der Autobahn oder mitten in der Pampas an einem Baggersee, wie bei der Emscher Kunst 2010, sondern in Reiseführungen durch Künstler. Die betrachten selbst das platte Land mit anderen Augen und finden Neues, wo fast nichts zu sehen ist. Bis zum 16. August zeigen sie, was sie entdecken. Jeder kann an diesen Gratistouren teilnehmen.

Kay von Keitz, Kurator

Bekannt als Wünschelrute ist der Düsseldorfer Christian Odzuck, der schon aus schrottreifen Lüftungsanlagen eine Pergola gebaut hat und sich derzeit mit dem abrissreifen Glockenturm eines aufgelassenen Franziskanerklosters beschäftigt. Er legte auf seiner Busfahrt sofort los.

Es wird eine Reise mit merkwürdigen, komischen und skurrilen Zwischenstopps. Der Erste lag an der Autobahn A 57 bei Alpen, wo der Parkplatz enorm aufgeweitet ist. Kaum jemand ahnt, dass dies ein Notflugplatz aus der Zeit des Kalten Krieges ist. Die Autobahn kann dort bei Katastrophen binnen Stunden in einen Flugplatz umgewandelt werden. Odzuck erklärt: „Man fährt eine Start- und Landebahn entlang und kennt die doppelte Realität nicht.“

An diesem Platz gebärdet sich der Performance-Künstler Oliver Blumek wie ein Zinnsoldat, spricht über die Nachkriegszeit und macht mit jeder Bewegung klar, dass man ihn nicht mit einem Touristenführer verwechselt darf. Am Aussichtsturm Dürsberg in der Sonsbecker Schweiz, mitten zwischen Weizen und Mais, steht der arme Tropf wieder da. Diesmal geht es um einen „kleinen Wimpf“ aus Materie und Antimaterie. Blumek spricht wie einer, der aus einem Stollen ans Tageslicht gekommen ist. Später wird der Künstler von einem richtigen Soldaten abgelöst. Major Andre Haider aus der Schill-Kaserne in Wesel parliert routiniert, freundlich und allwissend über die Nato einst und jetzt.

Christian Odzuck, Künstler

Ein besonderes Erlebnis ist eine kleine Schiffstour auf der Nord- und Südsee bei Xanten. Dabei handelt es sich um einen langgestreckten Baggersee, dessen beide Enden die Xantener so benannt haben, als ob sich zwei Meere ausgerechnet vor ihrer alten Römersiedlung vereinen. Fährmann Nicolai Nachtigall pflegt mit seinem Schiff „Seestern“ an der „Beachline“ zwischen Xanten und Wardt hin und her zu pendeln, bei Kaffee und Kuchen, sofern das die Gäste wollen.

Dazu singen diesmal die „Bruchpiloten“ aus Dinslaken-Bruch. Und was bildende Künstler nur mit einigen theoretischen Tricks vermögen, blaue Wunder vom Himmel zu holen, machen diese Kameraden mit fröhlichen Liedern deutlich. Zur Gitarre tönen sie ihr „Wenn die bunten Fahnen wehen, geht die Fahrt wohl übers Meer“, während das Schiff zwischen der Xantener Nordsee und Südsee schaukelt und sich die Passagiere wie auf großer Fahrt vorkommen. Dazu Christian Odzuck: „Es geht nicht um touristische Höhepunkte. Es geht um Vorstellung und Realität.“

Kurator Kay von Keitz ist voll des Lobes: „Künstler ticken eben anders. Wir wollen die Besucher an deren Blick teilhaben lassen.“ 70 000 Euro stellt NRW über Urbane Künste Ruhr dafür bereit. 18 Fahrten sind geplant, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder in der Kutsche. Lutz Fritsch etwa hat sich die Trabrennbahn in Dinslaken zu Herzen genommen. Der Kölner kann fast über diese Bahn mit ihren 16 Rennen im Jahr schwärmen. Da das Areal mitten in der Stadt liegt, hätten Investoren großes Interesse daran, das Gelände zu bebauen. Lutz Fritsch: „Das darf nicht sein, dann geht der Charme aus vergangenen Zeiten verloren.“ Jeder Teilnehmer bei ihm bekommt ein Skizzenbuch und einen Fotoapparat in die Hand. Nach der Reise werden die Bilder ausgedruckt. So kann jeder sein eigenes Tagebuch mit nach Hause nehmen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort