Unwetter: Wenn Bäume am Gleis zur Gefahr werden

Die Bahn untersucht ihre Waldbestände, um vom Einsturz bedrohte Exemplare im Herbst fällen zu können. So will sich der Konzern gegen Stürme wappnen.

Unwetter: Wenn Bäume am Gleis zur Gefahr werden
Foto: dpa

Köln. Auf den ersten Blick sieht die Esche am Rande der Gleise an einer Bahnstrecke in Köln kerngesund aus, an vielen ihrer Äste sprießen noch die Blätter. Aber der Schein trügt, weiß Armin Bier, Leiter der Abteilung Umwelt- und Projektmanagement bei der DB Fahrwegdienste, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn: „Da ist nichts mehr zu machen“, sagt der Forstexperte und deutet auf einen Ast mit deutlich sichtbarem Kahlschlag weiter oben in der Krone. Das Alter des Baumes schätzt er auf 30 Jahre. „Die kahlen Äste sind ein deutliches Zeichen für einen Pilzbefall, der nun immer weiter fortschreiten wird.“ Sein Fazit: Die Esche muss gefällt werden.

Heftige Stürme in Nordrhein-Westfalen wie Ela oder Friederike haben vielen Bäumen schwer zugesetzt. Gerade in Gleisnähe kann von morschen und brüchigen Exemplaren Gefahr ausgehen, wenn diese bei Unwettern unvermittelt auf die Gleise stürzen oder in Oberleitungen krachen. Im vergangenen Jahr hatte die Bahn aufgrund von Sturmtiefs bundesweit rund 60 Millionen Euro Schaden zu beklagen.

Mit spezieller Technik inspiziert sie deshalb seit März des Jahres systematisch die an Bahnstrecken gelegenen Waldbestände. Denn der Konzern besitzt gut 30 Prozent der an Bahnstrecken angrenzenden Bäume und trägt als Grundstücksbesitzer die Verantwortung dafür, dass diese nicht die Verkehrssicherheit gefährden.

„Wir verstehen uns als grünes Unternehmen. Allerdings hat die Sicherheit der Menschen für uns Priorität“, sagt Bahnsprecher Dirk Pohlmann. Deshalb führe an einer Fällung bei einigen Bäumen kein Weg vorbei. Regelmäßig komme es dabei zu Interessenkonflikten mit der Unteren Naturschutzbehörde, wenn diese etwa die Fällung eines Baumes nicht für zwingend notwendig befindet.

Ein Mitarbeiter der Bahn misst mit einem Resistographen den Bohrwiderstand im Holz eines Baumes, um dessen Standfestigkeit festzustellen. Foto: dpa

„Wenn dann etwas passiert und die Behörde die Genehmigung für die Fällung nicht erteilt hat, kann sie auch für den Schaden haftbar gemacht werden“, ergänzt Bier. Somit bemühe sich die Bahn mit ihrer Waldinspektion auch um ihre eigene Rechtssicherheit. Auch private Grundstücksbesitzer, auf deren Boden sich nach Einschätzung der Forstexperten einsturzgefährdete Bäume befinden, würden von der Bahn angeschrieben — sie sind ihrerseits ebenfalls gesetzlich verpflichtet, die Gefahrenquelle zu beseitigen.

Gefällt werden darf aber nach dem Bundesnaturschutzgesetz nur von Oktober bis Ende Dezember, um nistende Vögel nicht zu gefährden. Über 1000 Forstarbeiter der Bahn sind bundesweit im Einsatz — weitere 150 wolle der Konzern noch in diesem Jahr einstellen.

Ihr „Vegetationsmanagement“ lässt sich die Bahn nach eigenem Bekunden etwas kosten — zusätzlich zu seit 2007 im Budget veranschlagten 100 Millionen Euro fließen in den kommenden fünf Jahren weitere 125 Millionen Euro in die Pflege und Kontrolle des Pflanzenbestandes, teilte die Bahn mit. Bei wie vielen Bäumen im Jahr die Axt angesetzt wird, kann das Unternehmen nicht beziffern — Zehntausende ist die grobe Schätzung. Rund 33 000 Kilometer Bahnstrecke werden inspiziert, 4700 Kilometer davon allein in NRW.

Um die Standfestigkeit eines Baumes möglichst präzise bestimmen zu können, greifen die Forstarbeiter in manchen Fällen zu einem sogenannten Resistographen. Dieses Gerät besitzt eine feine Nadel, die ein bis zu 40 Milimeter tiefes Loch in die Rinde des Baumes bohrt, um den Widerstand zu messen. Stößt der Mitarbeiter dann bereits auf einen größeren Hohlraum im Stamm, lasse dies darauf schließen, dass der Baum nicht gesund sei und möglicherweise unter Pilzbefall leidet, erklärt Armin Bier. „Die kleine Wunde durch das Bohren kann der Baum problemlos mit Harz wieder verschließen.“

Die erhobenen Daten werden vor Ort mithilfe von Tablets erfasst und fließen in ein geografisches Fachinformationssystem ein. Punktuell greift die Bahn auch auf Drohnen zurück, die ausgestattet mit Sensoren Bäume oder ganze Strecken aus der Luft erfassen. Die flächendeckende Untersuchung der Vegetation erfolgt einmal im Jahr — abwechselnd im belaubten und im unbelaubten Zustand der Bäume. Bier gibt zu: „Manchmal tut mir die Fällung eines Baumes schon leid. Aber die Sicherheit geht eben vor.“

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