Weisser Ring: Erste Hilfe nach Straftaten

Berater am Opfer-Telefon zeigen den Anrufern Lösungsansätze und vermitteln Kontakte.

Essen. Der für Simone Himmelberg-Krüger bislang schlimmste Anruf erreichte sie an einem Samstagnachmittag. Über das Opfer-Telefon des Weißen Rings bat eine Mutter um Rat und Hilfe: Ihre Tochter war am frühen Morgen auf dem Heimweg von einer Party von zwei Unbekannten vergewaltigt worden — wollte aber aus Scham die Tat nicht bei der Polizei anzeigen.

„Ich habe mir die ganze Sache angehört, dann den Beiden geraten, sofort einen Arzt aufzusuchen, um Spuren der Tat festzuhalten — und vor allem auch die Polizei einzuschalten“, sagt Opferberaterin Simone Himmelberg-Krüger. Dazu vermittelte sie einen Kontakt zur zuständigen Außenstelle der Opferschutz-Organisation Weißer Ring. Die organisiert die Begleitung von Verbrechensopfern zur Polizei und zu Behörden, unterstützt gegebenenfalls mit einem Gutschein über Trauma-Beratung und -therapie bei einem Facharzt.

Der Weiße Ring, der seit mehr als 20 Jahren Verbrechensopfern über eine telefonische Hotline erste Hilfe leistet, will dieses Angebot weiter ausbauen. „Wegen unserer langjährigen Erfahrungen mit dem Opfer-Telefon hat uns die Bundesnetzagentur in diesem Jahr die bundesweit einheitliche, kostenlose Notrufnummer 116 006 zugeteilt“, sagt Bundesvorsitzende Roswitha Müller-Piepenkötter. „Das macht es für Anrufer wesentlich einfacher, uns zu erreichen, und wir können so schneller Hilfe leisten.“

Die Ersthilfe am Telefon leisten derzeit bundesweit 40 ehrenamtliche Helfer wie Simone Himmelberg-Krüger aus Essen. Ausgestattet mit Handy und Headset, sitzen sie zu Hause am Computer und beraten in jeweils vierstündigen Schichten die Anrufer. So ist das Opfer-Telefon an sieben Tagen in der Woche von 7 bis 22 Uhr auf Empfang — für die derzeit im Schnitt 1000 Hilfesuchenden pro Monat.

Allerdings geht man beim Weißen Ring davon aus, dass mit steigender Bekanntheit der zentralen Notrufnummer auch die Zahl der hilfesuchenden Menschen wachsen wird. „Wir suchen deshalb weitere ehrenamtliche Mitarbeiter, damit Hilfesuchende nicht in eine Warteschleife geraten oder das Besetztzeichen hören“, sagt Müller-Piepenkötter.

Auf ihre Aufgaben werden die Ersthelfer in zwei Seminaren vorbereitet. Hinzu kommen monatliche Treffen und alle zwei Monate eine Supervision mit einem Experten, damit aus dem Ehrenamt gar nicht erst psychische Belastungen für die Helfer entstehen können.

„Ich sehe das für mich als Herausforderung, denn die Arbeit ist sehr abwechslungsreich“, sagt Simone Himmelberg-Krüger. „Außerdem passt das bei mir ganz gut zu meinem Beruf.“ Die Opferberaterin ist Sozialpädagogin, arbeitet seit 15 Jahren in der Psychiatrie und macht derzeit eine Zusatzausbildung zur Fachberaterin für Psycho-Traumatologie. „Ich freue mich, wenn ich Opfern weiterhelfen kann, wenn sie am Ende des Gesprächs ruhiger sind, weil sie wieder eine Perspektive haben. Das ist ein sehr, sehr schönes Gefühl.“ Wie bei jener Mutter, die wegen ihrer vergewaltigten Tochter angerufen hatte. Die sagte am Ende des Gesprächs: „Vielen Dank für ihre Hilfe und ihre Ratschläge. Aber fast noch wichtiger war für mich, dass sie uns zugehört haben.“

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