Übergriffe Was geschah in der Silvesternacht in Köln?

Die Polizei weiß bisher fast nichts über die Täter. Ob sie sich verabredet hatten, ist unklar. Zeugen sagen, Beamte waren überfordert.

Der Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof im neuen Jahr.

Der Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof im neuen Jahr.

Foto: Oliver Berg

Köln. In der Bevölkerung, in der Politik und bei der Polizei herrscht Entsetzen über die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof. Vieles scheint unklar. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist über die Täter bekannt?

Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten laut Polizei übereinstimmend von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So sagt es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers gestern. Schon am Vortag hat er eine Pressekonferenz gegeben. Jetzt sitzt er an der Seite der neuen Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Beide wollen drängende Fragen beantworten. Sie müssen. Aber Täter gibt es noch nicht.

Nur einen Ablauf: Eine Gruppe an der Domtreppe sei über den Abend ab 21 Uhr von 400 bis 500 auf 1000 junge Männer angewachsen, die meisten im Alter zwischen 18 und 35. Sie schienen stark alkoholisiert und schossen enthemmt Feuerwerkskörper in die Menge. Wegen einer drohenden Massenpanik habe die Polizei den Bahnhofsvorplatz geräumt, danach sollen sie in kleineren Gruppen Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gab es bis gestern. „Es werden sicher noch mehr“, sagt Albers. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.

Was hat es mit diesem neuen Phänomen der Massen-Straftat auf sich?

Ratlosigkeit. „Das Phänomen ist neu“, sagt Albers. Reker findet den Begriff „Phänomen“ untertrieben. Sie hat aber auch keine Lösungen. „Uns fehlen noch die Instrumente, um so etwas frühzeitig erkennen zu können“, sagt Reker. Albers will „nicht spekulieren“. Ein Polizeisprecher sagt, die Vermutung liege nahe, dass die Täter in irgendeiner Form miteinander verbunden seien.

Wie war die Polizei aufgestellt?

Die Bundespolizei, die im Bahnhof zuständig gewesen ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 150 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Geplant hatte man anhand Erfahrungswerten vergangener Silvesterfeiern. Wie sich der Einsatz dann entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“

Wie konnte es trotz Polizeipräsenz zu so vielen Straftaten kommen?

Polizeipräsident Albers sagte, die Beamten hätten zwar schon in der Silvesternacht von Übergriffen Kenntnis bekommen. Den vollen Umfang der Übergriffe — insbesondere der sexuellen Übergriffe — sei aber erst am nächsten Tag klar geworden. Die Taten selbst hätten die Polizeibeamten laut Ermittler Wolfgang Wurm zufolge nicht beobachtet, weil diese sich in einer Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.

Was wird der Polizei vorgeworfen?

Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“

Was sagen die Opfer?

Augenzeugen und Opfer berichten von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die in der Umgebung des Doms mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll). „Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten — ohne dass mein Freund es sah — von mehreren Männern angegrabscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“ (Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf war).

Was will die Polizei künftig anders machen?

In Stichworten: Mehr Präsenz etwa im Karneval, von uniformierten und zivilen Kräften, Sicherheitskonzepte der Stadt bei Großveranstaltungen, mobile Videoanlagen, Bereichsbetretungsverbote.

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