Verschwörungen: Wie dunkle Mächte uns manipulieren

Ich sehe was, was du nicht siehst — wie die Wissenschaftler Michael Butter und Bernhard Pörksen das Phänomen erklären.

Verschwörungen: Wie dunkle Mächte uns manipulieren
Foto: Nasa

Köln/Düsseldorf. Es gibt unterhaltsame Verschwörungstheorien — wie etwa die durch zahlreiche Argumente untermauerte These, dass die Amerikaner nie auf dem Mond gelandet seien. Doch die Gedankengebäude können auch gefährlich sein, sagt Michael Butter: „Wenn sie zu Gewalt aufrufen oder zu politischer Apathie führen. Oder wenn sie die Menschen den Populisten in die Arme treiben.“

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Butter ist Professor für Amerikanistik und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen und befasst sich schon länger mit dem Phänomen. In einem Gedankenaustausch mit Bernhard Pörksen, ebenfalls Professor an der Uni Tübingen, Fachbereich Medienwissenschaft, diskutierten die beiden beim Kölner Philosophiefestival Phil.Cologne: Was treibt Verschwörungstheoretiker, wie soll man ihnen umgehen?

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Verschwörungstheorien haben zum Thema, dass eine im Verborgenen agierende Gruppe Ereignisse manipuliert oder bereits die Kontrolle über Institutionen und Staaten übernommen hat. Dabei betonen Butter und auch Pörksen, dass an manch einer Theorie auch mal was dran sein kann. Für Butter ist zum Beispiel die seit Jahrzehnten gestellte Frage, ob an der Kennedy-Ermordung mehr als ein Schütze beteiligt war, durchaus berechtigt. Und Pörksen hält die Hypothese, dass das Team von US-Präsident Donald Trump während des Wahlkampfs mit russischen Akteuren kooperiert hat, für denkbar — „aber das ist für mich mehr so ein Verdacht, eine Verschwörungstheorie Light“, fügt er hinzu.

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Michael Butter

Verschwörungen: Wie dunkle Mächte uns manipulieren
Foto: Fotorechte: Butter

Für Pörksen ist eine Verschwörungstheorie eine Art „Weltformel des Übels“. Da glaube einer zu erkennen, was die Ursache des Bösen ist. Und er glaube an die Planbarkeit der Geschichte. „Es geht um den Unwillen der Menschen, Zufall und Chaos zu akzeptieren“, pflichtet Butter bei. Die Menschen suchten nach Mustern, nach einem Plan, der hinter allem steckt. Und wenn beispielsweise der Glaube an das göttliche Heil oder einen Schöpfungsplan erschüttert sei, mit seiner Idee, dass alles letztlich auf ein positives Ziel hin läuft, was ist denn dann die Alternative? Das religiöse Muster wird gewissermaßen säkularisiert — die Verschwörungstheorie als Ausweg, als die Idee eines großen Plans. Nur ist es dann nicht mehr Gott, der die Fäden in der Hand hält, sondern es sind weltliche Akteure. Menschen, dunkle Mächte, die alles lenken. Butter: „Der Verschwörungstheoretiker erkennt ein Muster und schafft es so, das ungeliebte Chaos, den nicht akzeptierten Zufall auszuschließen. Alles ergibt wieder einen Sinn.“

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Foto: Fotorechte: Pörksen

„Die Theorie ist für die eigene Identität wichtig“, sagt Butter. Solche Menschen definierten sich über den Glauben an die Richtigkeit der Theorie, sie haben verstanden, wie der Hase läuft, sie laufen nicht blind durch die Welt wie die anderen. Sie versichern sich der eigenen Besonderheit, stechen aus der Masse heraus. Pörksen sagt es so: „Der Verschwörungstheoretiker macht sich selbst ein ungeheueres Kompliment: er schaut hinter das Weltgeschehen und sagt uns, den Trotteln, was wirklich gespielt wird.“

Bernhard Pörksen

Für Butter hat das Engagement für entsprechende Ideen viel mit Statusverlust-Ängsten zu tun: Verschwörungstheorien bieten eine Erklärung dafür, warum man das Gefühl hat, dass einem die Felle davon schwimmen. Der gesellschaftliche Wandel bringe das Gefühl, dass man nicht mehr in dem Land lebt, in dem man aufgewachsen ist. Am Ende seien die Theorien auch von Optimismus getrieben, weil sie eine Ordnung wahren oder wiederherstellen wollen. Butter: „Wenn man sagt, dass etwas das Ergebnis einer Verschwörung ist, dann kann man theoretisch wieder einen früheren oder gewünschten Zustand erreichen, indem man die Verschwörung entlarvt und sie besiegt.“

Medienwissenschaftler Pörksen bejaht das. „Wir leben in einer Zeit, in der Information nicht mehr eine vorfabrizierte Ordnung besitzt.“ Es gibt keine senderseitige Fixierung mehr, in der die Medien vorgeben, was die Menschen als wichtig anzusehen haben. Nachrichten diffuser Art erreichen uns, die nicht eingeordnet werden. Da könnte man die Verschwörungstheorie als eine Art „intellektuelle Notwehr“ betrachten, man flüchtet in Gut-Böse-Schemata. Durch die Vernetzung mit Gleichgesinnten im Internet könne man sich dann in eine Wirklichkeitsblase begeben und sich vergewissern: Es gibt viele, die so denken wie ich. Eine Bestätigungsgemeinschaft, wie Pörksen es nennt. So werde man zum „Regisseur der eigenen Welterfahrung und hält diese dann für die Wahrheit.“

Butter betont zwar, dass es Verschwörungstheorien schon immer gab, es sei früher aber viel aufwändiger gewesen, sie zu verbreiten — per Buch im Selbstverlag, das dann nur wenige Menschen erreicht oder bei Konferenzen Gleichgesinnter. „Heute googelt man einmal und schon hat man das alternative Sinnangebot.“

Butter warnt vor zu schroffer Ablehnung der Vertreter seltsamer Thesen. „Sie sind nicht per se paranoid.“ Es gebe natürlich auch krankhafte Züge. Er erzählt von dem Brief eines Mannes, in dem dieser sich wünschte, mal mit ihm über seine Theorie zu diskutieren. Er könne aber leider nicht aus seiner Wohnung heraus, „weil Strahlenpistolen auf mich gerichtet werden“. Eine generelle Pathologisierung von Verschwörungstheoretikern, so sagt Butter, führe indes dazu, dass diese total dicht machen. „Man zerstört die Chance, weiter kommunizieren und argumentieren zu können.“ Butter selbst antwortet durchaus mal mit ein paar Sätzen, wenn schräge Ideen an ihn herangetragen werden, sagt aber auch: „Wenn ich drei Sätze schreibe, kommen schnell drei Seiten zurück.“ Da gebe es viel Detailversessenheit.

Auch Pörksen kennt das: „Am Ende geben Sie erschöpft auf, weil Sie nicht mehr die Kraft haben, dagegen zu halten.“ Es sei ja auch in Ordnung, wenn man im Diskurs eine Vielfalt von Wahrheiten, von Sichtweisen akzeptiert. „Aber es gibt eben auch Situationen, wo es unbedingt geboten ist, auf Wahrheiten und Faktizität, so problematisch diese Begriffe sind, zu bestehen“, sagt Pörksen. „Manchmal müssen wir eben klare Kante zeigen, wenn zum Beispiel eine Verschwörungstheorie eine Legitimationsformel für die Anwendung von Gewalt ist“. Butter konkretisiert: „Bei antisemitischen oder rassistischen Theorien werden die Grenzen so verschoben, dass man darüber nicht diskutieren kann.“

Pörksen gibt zu, dass er kein gutes Rezept für Diskussionen mit Verschwörungstheoretikern hat. „Diese mit Details zu widerlegen, ich glaube, dafür wäre mir das Leben zu kurz.“ Manchmal helfe es vielleicht, einen Witz zu machen, doch generell sei es schwer, damit gegen die generelle Tendenz der Verbiesterung und der Freudlosigkeit anzukommen. Verschwörungstheoretisches Denken sei für ihn überwiegend antiliberales Denken. „Man tauscht sich nicht aus, man tritt nicht ein in ein wirkliches Gespräch, weil man es ja, so die Sicht des Verschwörungstheoretikers, mit Schafen, mit Trotteln zu tun hat.“

Einen kleinen Tipp hat Pörksen dann aber doch: Man könnte dem selbstsicheren Gegenüber mal die Frage stellen, warum die doch so übermächtigen Verschwörer ihm eigentlich nicht die Möglichkeit abschneiden, seine Theorie auf YouTube und sonst wo im Netz auszubreiten.

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