Germanwings-Absturz Vasili Bryjak: „Die Zeit mit meinem Vater war viel zu kurz“

Der Sohn des verunglückten Opernsängers Oleg Bryjak spricht ein Jahr nach dem Absturz über seine Trauer und seine Wut auf die Lufthansa.

Düsseldorf. Am Donnerstag vor einem Jahr wird für Vasili Bryjak ein ganz normaler Morgen zum schwärzesten Tag seines Lebens. Der Willicher, der gerade nach Dresden gezogen ist, sitzt in seinem Büro. Plötzlich fallen ihm mehrere Kurznachrichten auf seinem Handy auf, Freunde und Verwandte sorgen sich, dass sein Vater Oleg Bryjak im soeben über den Alpen abgestürzten Flugzeug gesessen haben könnte. Doch Vasili Bryjak bleibt ruhig. Er ist überzeugt, dass sein Vater erst am nächsten Tag fliegen will. Dennoch ruft er sicherheitshalber seine Mutter an — und muss feststellen, dass er sich geirrt hat.

Bryjaks Mutter ist völlig verzweifelt, sie wartet am Düsseldorfer Flughafen auf ihren Ehemann. Der Bass-Bariton (54) im Ensemble der Düsseldorf Oper sollte von einem Gastspiel in Barcelona zurückkehren. Nur zufällig ist seine Frau nicht bei ihm, weil sie schon früher abreisen musste. Während sie mit ihrem Sohn telefoniert, wird sie in einen Raum geführt, wo auch andere Angehörige auf die Germanwings-Maschine warten, die nicht mehr ankommen wird.

Trauerfeier für die Opfer des Germanwings-Absturzes
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Doch noch hat Vasili Bryjak Hoffnung, dass sein Vater nicht im Flugzeug saß, verzweifelt versucht er ihn anzurufen. Dann die traurige Gewissheit: Ausgerechnet aus dem Fernsehen erfährt Vasili Bryjak, dass sein Vater unter den Opfern ist, da er dort als Prominenter namentlich genannt wird.

All das erzählt Vasili Bryjak mit einem Jahr Abstand bei einem Treffen mit unserer Zeitung auf dem Düsseldorfer Flughafen. Bryjak kommt gerade aus Dresden, um mit seinem Bruder, seiner Mutter und anderen Angehörigen zum Gedenktag am 24. März in die Nähe der Absturzstelle zu fliegen. „Dort liegt das Grab meines Vaters“, sagt der 31-Jährige. Um 10.41 Uhr will man dort sein — genau zu der Zeit, als Flug 4U9525 vor einem Jahr vom Radar verschwand.

Mit dabei zu sein, ist Bryjak wichtig. „Ich freue mich sogar darauf, die anderen Angehörigen wiederzusehen. Wir teilen das gleiche Schicksal. Es sind viele Freundschaften entstanden.“

Außerdem ist das für Bryjak wieder ein Grund, in ein Flugzeug zu steigen. Er sagt, dass er nach dem Absturz seines Vaters geradezu süchtig nach dem Fliegen geworden ist. Rund 150 Flüge hat er seitdem absolviert, natürlich auch, um so oft es geht bei seiner Familie zu sein. „Aber es hat auch damit zu tun, dass ich dann das Gefühl habe, meinem Vater näher zu sein. Ich spiele oft sogar Absturzszenarien durch.“

Diese Nähe zum Vater hat Bryjak nicht immer gesucht, im Gegenteil. „Mein Vater hatte als Sänger Engagements in vielen Ländern der Welt. Er war oft nur 50 Tage im Jahr zu Hause. Wir hatten eigentlich gar kein Verhältnis.“ Zumal sein Sohn nicht im Schatten des berühmten Vaters stehen wollte. „Ich habe mein eigenes Ding gemacht“, sagt der Unternehmer und Grafiker.

Erst drei Jahre vor dem Absturz hat sich das Verhältnis gewandelt. „Wir sind extrem gute Freunde geworden.“ Der Opernsänger brachte seinem Sohn das Angeln bei, sie machten Ausflüge. „Diese Zeit mit meinem Vater war viel zu kurz. Das war gerade der Beginn unserer Beziehung.“ So waren die beiden zum Hochseeangeln verabredet, auch in Bayreuth wollte Vasili Bryjak seinen Vater im vergangenen Jahr noch bei den Wagner-Festspielen singen hören. „Das haben wir leider nicht mehr geschafft.“

Zum letzten Mal sprechen Vater und Sohn zwei Tage vor dem Absturz über Skype miteinander, so wie sie es zuletzt öfter getan hatten. „Wir hatten leider keine Gelegenheit, uns richtig zu verabschieden.“

Auch ein Jahr nach dem Absturz ist die Trauer über seinen Verlust unermesslich. „Es ist für uns immer noch, als ob es vorgestern passiert wäre.“ Besonders schwer sei es für seine Mutter. „Sie kann nicht mehr arbeiten, sie überlegt sogar, nach Kasachstan zurückzugehen. Ich mache mir große Sorgen.“

Zum ersten Mal im Gespräch erhebt Bryjak seine Stimme. Wirkte er bislang sehr gefasst, brechen jetzt mehr und mehr die Emotionen durch. „Erst vor drei Jahren haben meine Eltern ein Haus gekauft. Jetzt kann es sein, dass wir es aus finanziellen Gründen verkaufen müssen.“

Bryjak ist wütend auf Germanwings und die Lufthansa. 50 000 Euro Soforthilfe gab es bislang für die engsten Angehörigen eines Opfers. Dazu sollen 25 000 Schmerzensgeld für jeden Toten gezahlt werden und die nächsten Angehörigen 10 000 Euro bekommen. Damit ist Bryjak nicht einverstanden. „Die Fluggesellschaft sollte dafür sorgen, dass die Angehörigen in finanzieller Hinsicht ihr Leben weiterführen können wie bisher, so dass keine existenziellen Ängste entstehen.“ Die Lufthansa hätte aus Bryjaks Sicht mehr Verantwortung übernehmen müssen. Da das nicht passiert ist, soll die Schuldfrage jetzt vor Gericht geklärt werden.

Bryjak gehört zu den Opferfamilien, die über den Mönchengladbacher Rechtsanwalt Christof Wellens eine US-Kanzlei beauftragt haben, gegen eine Lufthansa-Flugschule in den USA zu klagen. Dort soll der 27 Jahre alte Co-Pilot ausgebildet worden sein, der die Maschine absichtlich zum Absturz brachte. Bryjak: „Ich stelle mich auf einen langjährigen juristischen Kampf ein.“

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