AKW Tihange 2 und Doel 3 Umstrittene belgische Reaktoren dürfen wieder ans Netz

Brüssel. Die Pannenreaktoren Tihange 2 und Doel 3 dürfen wieder ans Netz. Die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC (Federal Agency for Nuclear Control) hat am Dienstag entschieden, dass sie wieder angefahren werden.

Das Kernkraftwerk Doel - die belgische Atomaufsichtsbehörde erlaubt, dass es wieder ans Netz geht.

Das Kernkraftwerk Doel - die belgische Atomaufsichtsbehörde erlaubt, dass es wieder ans Netz geht.

Foto: dpa

Betreiber Electrabel habe zeigen können, dass die Risse in den Reaktorblöcken keinen „inakzeptablen Einfluss“ auf die Sicherheit hätten, teilte die FANC bei einer Pressekonferenz in Brüssel mit.

Nach der Prüfung stellte die Behörde fest, dass es sich bei den Haarrissen um ein Problem handle, das durch das Schmieden der Stahlringe des Behälters entstanden sei und keine Gefahr für die Sicherheit darstelle. Electrabel plant nun, die Reaktoren am 15. Dezember wieder anzufahren, wie Sprecherin Geetha Keyaert am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte.

Zunächst seien Tests und Vorbereitungen für das Wiederanfahren nötig. Das werde vier Wochen dauern. „Wir waren immer zuversichtlich, dass wir die Reaktoren wieder anfahren können würden“, sagte Keyaert. Die Entscheidung beruhe auf wissenschaftlichen Ergebnissen. Seit Monaten hatten Wissenschaftler die Pannenreaktoren untersucht. Tihange 2 könne wie ursprünglich vorgesehen bis zum 1. Februar 2023 und Doel 3 bis zum 1. Oktober 2022 laufen.

In Belgien, das den Atomausstieg beschlossen hat, müssen Akw nach 40 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden. Reaktorblock Tihange 2, der nur 60 Kilometer von Aachen entfernt bei Lüttich liegt, und Doel 3, der etwa 150 Kilometer von Aachen entfernt bei Antwerpen liegt, sind seit März 2014 abgeschaltet (siehe Chronologie links). Der Grund sind Risse in den Druckbehältern.

Monatelang untersuchten unabhängige Experten die Sicherheit der Reaktoren. Die Ergebnisse liegen nun vor. Die beiden Sicherheitsdossiers (Safety Case) wurden von Bel V, der technischen Abteilung der Atombehörde, von der belgischen Kontrollorganisation AIB Vinçotte und einem unabhängigen amerikanischen Labor (ORNL) untersucht.

Das Ergebnis fasst die FANC so zusammen: Die Risse seien nicht gefährlich und würden auch nicht größer. Nur ein Mitglied des „International review“ distanziert sich von dem Gutachten. Betreiber Electrabel hatte immer betont, dass die Risse von Anfang an im Material vorhanden gewesen seien.

„Die Entscheidung ist menschenverachtend“, sagte Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomkraft. „Nicht nachvollziehbar“ nannte Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, die Entscheidung. Noch immer sei nicht klar, wie sich der Betrieb der Reaktoren auf die Fehler im Stahl auswirken werde. „Zwei Reaktoren mit Tausenden Rissen wieder in Betrieb zu nehmen, ist Russisch-Roulette — besonders für unsere Region“, sagte Oliver Krischer, Bundestagsabgeordneter aus Düren auf Anfrage unserer Zeitung.

Selbst Atomkraftbefürworter hätten das in der Vergangenheit als unverantwortlich bezeichnet, betonte der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag. Krischer wirft der FANC vor, nicht unabhängig zu sein. Jan Bens, Leiter der FANC, arbeitete früher bei Electrabel. Auch die Bundesregierung habe „versäumt, gegenüber Belgien Klartext in Sachen Tihange und Doel zu reden“. Sollte es einen Atomunfall geben, sei auch Berlin mitverantwortlich, sagte Krischer. „Herr Krischer irrt“, sagte Michael Schoren, Sprecher von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Das Ministerium habe sich im Hinblick auf ein gemeinsames hohes Sicherheitsniveau und eine vertiefte europäische Zusammenarbeit in Fragen der nuklearen Sicherheit an die belgischen Behörden gewandt. Man nehme die Beschlüsse der FANC nun zur Kenntnis. Mehr ist nicht möglich, weil Energiepolitik in nationaler Hand liegt. Das betont auch Sabine Verheyen (CDU), Abgeordnete im Europäischen Parlament aus Aachen. Es gebe keine Möglichkeiten für ein Verbot.

„Was würde denn Deutschland sagen, wenn sich Belgien in unsere Energiepolitik einmischte?“ Trotzdem sieht Verheyen die Entscheidung kritisch. „Wir müssen auf die Expertise der Wissenschaftler vertrauen.“

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