Urlaub Trotz Türkei-Warnung: Deutsche bleiben reisefreudig

Trotz der Warnung von Außenminister Gabriel urlauben wieder mehr Menschen in der Türkei. Doch für Gefahren sind viele stärker sensibilisiert.

Urlaub: Trotz Türkei-Warnung: Deutsche bleiben reisefreudig
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Düsseldorf. Was heißt denn schon sicher? In Zeiten, wo heute ein Anschlag der sogenannten Terrormiliz IS in Barcelona die Welt erschüttert und morgen an einer Bushaltestelle in Marseille ein Auto auf eine Gruppe von Passanten zurast (die Tat war nach ersten Erkenntnissen der Polizei wohl nicht politisch motiviert), gewinnt das Thema Sicherheit bei der Urlaubsplanung für die Deutschen eine neue Bedeutung. Ein Paradebeispiel gibt da wohl die weiterhin angespannte Situation in der Türkei ab — gerade erst hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) wieder vor Reisen in das beliebte Urlaubsland gewarnt.

Einschüchtern lassen sich die Deutschen im Hinblick auf ihre Urlaubspläne von diesen Entwicklungen jedoch offenbar nicht; ihre Reiselust ist ungebrochen. Dies legen die Ergebnisse einer Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen nahe, nach der im Frühjahr dieses Jahres noch 69 Prozent der Befragten angaben, definitiv oder wahrscheinlich verreisen zu wollen — nur ein Prozentpunkt weniger als im Vorjahr. Zwar habe der Terror Auswirkungen auf die Wahl des Reiseziels, halte die Deutschen aber nicht grundsätzlich von touristischen Aktivitäten ab, berichten die Autoren der Studie.

Spurlos vorbei geht die allgegenwärtige terroristische Bedrohung an den Deutschen jedoch keineswegs, hält Harald Pechlaner, Professor am Lehrstuhl für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, fest: „Das Angstniveau ist durchaus gestiegen und deutsche Touristen sind für Gefahrenquellen im Urlaub sensibilisiert“, so Pechlaner. „Dies bewirkt allerdings weniger, dass sie grundsätzlich Abstand vom Reisen nehmen, sondern eher, dass gefühlt sichere Destinationen innerhalb Deutschlands stärker gefragt sind.“

Bei aller Liebe zu heimischen Gefilden zieht es die Deutschen derweil nach wie vor auf ihre liebste Ferieninsel: Mallorca ächzt aktuell mehr denn je unter dem touristischen Ansturm, wobei der klischeehafte deutsche Mallorca-Urlauber sich weniger um die Probleme der Einheimischen schert, als darum, wo er auf der Schinkenstraße möglichst enthemmt eine Bierdusche nehmen kann.

So kann auch eine Zukunftsbranche wie der Tourismus bizarre Züge annehmen, wie der Protest vor allem junger Mallorquiner und linker Bürgergruppen gegen den Massentourismus auf der Balearen-Insel zeigt. Mit medienwirksamen Guerilla-Aktionen zeigt die katalanische Jugendorganisation „Arran“ ihren Unmut über explodierende Mietpreise, überfüllte Strände und niveaubefreite Partyexzesse.

Ihr Protest hat viele Gesichter: Mal vermiesen sie einem Reisebus die Tour, indem sie dessen Reifen zerstechen — mal lassen sie die Touristen bei lautstarken Demonstrationen wissen, was sie von ihnen halten. Ungeachtet der Tatsache, dass der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige für Mallorca bleibt und man auf ihn angewiesen ist. Für Harald Pechlaner gilt: „Tourismus kann nur nachhaltig sein, wenn er den Einheimischen nicht gefühlt die Räume nimmt und die Wertschöpfung sinnvoll verteilt wird. Man muss die Menschen auf diesem Weg mitnehmen.“

Dies gilt im Übrigen nicht nur für den Tourismus in Sonnenregionen, sondern auch für den Urlaub in Deutschland. Denn das Gute liegt so nah, lautet auch 2017 offenbar das Credo vieler deutscher Touristen. So muss es nicht unbedingt die malerische Playa Medina auf Venezuela sein, wenn dort gerade ein hitziger Konflikt um die Gewaltenteilung tobt — ein Wanderurlaub im Bayerischen Wald hat auch seine Reize.

„In den vergangenen Jahren hatten wir beim Deutschland-Tourismus einen Aufwärtstrend zu verzeichnen“, sagt Claudia Gilles vom Deutschen Tourismusverband (DTV). So gebe es bei Reisezielen innerhalb der Bundesrepublik zwar keine starken Zuwächse wie in Spanien oder Griechenland, „aber Deutschland hat beim Tourismus eine Schippe draufgelegt.“ Stark im Kommen seien als Reiseziele etwa Bayern sowie die Nord- und Ostsee.

Und wie steht es mit der Türkei? Hatten 2016 der Putschversuch, Erdogans Nazi-Vergleiche und Terroranschläge den Touristenandrang aus Deutschland stark dezimiert, entscheiden sich aktuell wieder mehr Deutsche für einen Türkeiurlaub. Trotz allem.

„Zu Beginn des Jahres war die Buchungsnachfrage für Reisen in die Türkei zögerlich. Dies hat sich aber in den letzten Monaten deutlich geändert und die Türkei zählt in diesem Sommer bei unseren Kunden damit zum drittbeliebtesten Flugreiseziel. Die Türkei ist das Last-Minute-Urlaubsziel Nummer Eins“, berichtet Isabella Partasides, Sprecherin des Reiseveranstalters Öger Tours. Vor allem bei Familien punkte das Land mit einer hochwertigen Hotellerie und gutem Service. „Es gibt einen Trend dahin, dass sich die Kunden etwas gönnen und höherwertigere Hotels buchen.“

Harald Pechlaner zieht aus dieser Entwicklung derweil nicht den Schluss, dass die Deutschen den politischen Ereignissen in der Türkei gleichgültig gegenüber stehen. „Es gibt bei den deutschen Türkeireisenden einen hohen Anteil an Stammgästen, die sich in zwei Lager teilen“, erläutert der Tourismus-Experte. „Da sind diejenigen, die im Zuge der Erdogan-Politik die Türkei meiden, weil sie das System nicht unterstützen wollen. Und da sind solche, die sich mit den Menschen in der Türkei solidarisieren, deren Existenz vom Tourismus abhängt.“

Denn gerade viele Vertreter der türkischen Tourismusbranche sind in weiten Teilen gar nicht gut auf Erdogan zu sprechen, belastet seine Politik doch nachhaltig das deutsch-türkische Verhältnis und fügt der Türkei auch als Urlaubsland einen erheblichen Imageschaden zu.

Doch gerade dort, wo politische Spannungen die Nachrichtenlage beherrschen, erfülle der Tourismus nicht nur wirtschaftlich eine wichtige Funktion, sagt Pechlaner: „Tourismus ist auch ein Mittel zur Völkerverständigung. Er kann Brücken schlagen und helfen, Differenzen zwischen den Nationen zu überwinden.“

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