Torlinientechnik: Kleine Firma aus Würselen schreibt Fußballgeschichte

Beim Confed-Cup in Brasilien kommt die Torlinientechnik mit sieben Kameras zum Einsatz.

Aachen. Ein kleines, unbekanntes Unternehmen aus der deutschen Provinz sticht die Großen aus. GoalControl aus Würselen bei Aachen machte bei der FIFA das Rennen und führt beim Confederations Cup (15. bis 30. Juni) die Torlinientechnik ein. Wenn im legendären Maracana von Rio de Janeiro und den fünf weiteren Arenen alles klappt, ist GoalControl auch bei der WM im kommenden Sommer dabei. Wie konnte das passieren? Geschäftsführer Dirk Broichhausen fragt sich auch heute manchmal noch, ob er das nicht alles nur träumt.

Alles begann mit seinem Ärger vor vier Jahren, als ein Schiedsrichter mit einer Fehlentscheidung ein Tor nicht gab. Fußball, der gehört für Broichhausen einfach zum Leben. Der Onkel war Profi bei Alemannia Aachen, er selbst spielte in der Kreisliga, seine beiden Jungs kicken. Die Alemannia, das ist sein Verein, auch jetzt noch nach dem Absturz in die Regionalliga. Heimatverbunden nennt man das wohl, und auch deshalb steht seine Firma in Würselen und nicht in irgendeiner Großstadt.

Mit dem Ärger über den Referee im Bauch marschierte er am Morgen danach zu seinem Chefentwickler und fragte, ob ihre Kontrollsysteme auch für den Fußball taugen könnten. „Der hat kurz überlegt und gesagt: ,Das müsste gehen’.“ Das war noch im ersten Unternehmen Pixargus, ein Zweig der Aachener Uni. Das Unternehmen entwickelt kamerabasierte Systeme, die Fehler bei der Produktion von Gummi- und Kunststoffteilen erkennen.

Der Fußball-Weltverband FIFA hatte da die elektronische Torüberwachung eigentlich schon abgehakt. Präsident Joseph Blatter wollte sie damals nicht. Erste Tests mit einem Chip im Ball verliefen mäßig. Das kleine, hochmotivierte Team in Würselen legte trotzdem los, auch in der Freizeit — Maschinenbauingenieure, Informatiker, Elektrotechniker. Einfach mal gucken, was technisch geht.

Das sei oft so bei Neuentwicklungen in der Industrie, sagt Broichhausen. Es entstand der Prototyp. Erster Test nach Feierabend auf der kleinen Wiese, später im Stadion auf dem Tivoli. „Wir wussten, dass wir eine super Technik haben“, sagt Broichhausen. Und plötzlich drehte bei der Fifa die Stimmung. Beim WM-Achtelfinale 2010 zwischen Deutschland und England (4:1) hatte der Schiedsrichter ein Tor des Engländers Frank Lampard nicht gegeben. Die ganze Welt erkannte den Fauxpas. Seitdem sagt auch Blatter ganz klar: „Torlinientechnik ist eine Notwendigkeit“, ganz im Gegensatz zu Uefa-Boss Michel Platini. Beim Bieterverfahren setzte sich GoalControl gegen Mitbewerber durch, die auf Unterstützung großer Unternehmen wie Sony oder Adidas bauen können, die auch noch Fifa-Sponsoren sind.

GoalControl montiert auf jeweils einer Torseite sieben Hochgeschwindigkeitskameras unter dem Stadiondach und verbindet sie per Glasfaserkabel mit dem Kontrollraum. „Wenn der Ball in den Strafraum eintritt, dann muss das Kamerasystem entscheiden, das ist der Ball.“ Klingt banal, was Broichhausen sagt, ist aber ein unglaublich komplexer Vorgang mit einer gigantischen Datenmenge. Ein Ball und kein Kopf oder eine Kappe.

Das System kennt die genaue Position des Balls, der Torlinie und des Torrahmens. Wenn der Ball über die Torlinie geht, bekommt der Schiedsrichter innerhalb einer Sekunde ein Signal auf seine Armbanduhr.

In Brasilien präparieren Kollegen mit lokalen Kräften die sechs Stadien für den Confed Cup. Die Kosten für die Umrüstung sollen bei 200 000 Euro pro Stadion liegen. Zum FIFA-Auftragsvolumen gibt es allerdings keine Angaben.

Beim Eröffnungsspiel des Confed Cups Brasilien gegen Japan wird Broichhausen auf der Tribüne sitzen und dann wohl richtig begreifen, dass das alles wahr ist.

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