Tiere: Diese Spritzen tun nicht weh

Im Zoo Wuppertal erforscht André Stadler, wie Raubwanzen zur schonenden Blutentnahme eingesetzt werden können.

Wuppertal. Hat der Löwe gut gebrüllt? Ist beim Okapi alles in Ordnung? Fehlt auch den Vögeln nichts? Diese Fragen stellen sich einem Zootierarzt täglich, und sie sind nicht leicht zu beantworten.

"Wildtiere zeigen erst ganz spät, ob sie krank sind", sagt der Diplom-Biologe André Stadler, Kurator am Wuppertaler Zoo.

Und auf Verdacht ein großes Blutbild zu machen und nach Krankheitserregern zu suchen wie in der Humanmedizin, war bisher nicht möglich. "Es wäre ein viel zu hohes Risiko, beispielsweise Raubtiere nur für eine Blutentnahme in Narkose zu legen", sagt Stadler.

Manche Tiere lassen sich zwar anfassen, aber nicht anstechen. Selbst der gemütlich wirkende Tapir rastet mal aus: "Da kann ein Arm schon weg sein", sagt Stadler. Und kleine Affen oder Fledermäuse haben so winzige Blutgefäße, dass man mit einer Spritze nur herumstochern kann.

Die Natur liefert eine buchstäblich feine Lösung für das Problem. Lebende Spritze nennt André Stadler die mexikanische Raubwanze Dipetalogaster maxima.

Ihr Stechrüssel misst an der Spitze nur 20 Mikrometer im Durchmesser und ist damit 32 Mal feiner als die kleinste herkömmliche Kanüle. Bohrt das Insekt seinem Wirt ein Loch in die Haut, fließt etwas Betäubungsmittel mit, gerinnungshemmende Stoffe halten das Blut zudem flüssig.

"Von dem Stich merkt man nichts", sagt Stadler, der beim Fototermin von der Wanze gleich angebohrt wird. Für seine Doktorarbeit untersucht er, wie sich die Wanzen am besten bei Zootieren anwenden lassen.

Eine Kardinalfrage lautet: Wie bekomme ich den Blutsauger am besten an den Einsatzort? Bei einem Tapir wie Susanna in Wuppertal ist es einfach. Sie lässt sich gern ausgiebig streicheln, dabei kann Stadler ein bis zwei Wanzen aus einer kleinen Plastikbox auf ihren Rücken gleiten lassen.

Die Blutsauger kommen schnell zur Sache. Schließlich stammen sie aus einem unwirtlichen Gebiet in Mexiko. Da muss man rasch in alles stechen, was sich bietet, und zügig saugen. Nach fünf bis zehn Minuten ist der Hinterleib der Wanze so dick wie eine Weintraube: Einen Milliliter Blut schaffen die etwa drei Zentimeter langen Jungtiere, das reicht für alle Untersuchungen.

Jetzt muss Stadler rasch zugreifen, denn wenn das Tier satt ist, möchte es am liebsten in der nächsten Ritze verschwinden. Bisher kommen diese Wanzen in Europa jedoch nicht in der Natur vor "und ich möchte keinesfalls derjenige sein, der sie aussetzt".

Bei Löwen und anderen Tieren, denen sich Menschen nicht gefahrlos nähern können, bindet der Wuppertaler den Raubwanzen Bindfäden um, bevor er sie in den Käfig wirft. So kann er sie leicht wieder herausziehen oder zumindest einfach finden, nachdem der Löwe in den Nachbarkäfig komplimentiert worden ist. Bei kleineren Affen zieht Stadler eine gelöcherte Zwischendecke in die Schlafkiste, darunter werden die Wanzen als Untermieter deponiert.

Selbst Stadlers Schwiegermutter ist in das wissenschaftliche Projekt einbezogen. Die Schneidermeisterin hat ihm aus Gardinenstoff weiße Beutel genäht, die wie Kissen für eine Puppenstube aussehen. Da passt die Wanze bequem rein, ihren Rüssel kann sie durch das Spitzenmuster ausklappen, aber nicht entkommen.

Auf die Wanzen ist Stadler durch seinen Doktorvater an der Ruhr-Uni Bochum gekommen. Professor Günter Schaub erforscht diese Spezies seit Jahrzehnten. Von ihm bekommt Stadler den garantiert krankheitsfreien Nachschub.

Andere Zoos in Europa interessieren sich sehr für Stadlers Arbeit, doch er gibt die Wanzen nur ungern aus der Hand. Mit den Tierchen im Gepäck reist er lieber selbst nach London, Riga oder Dublin. So sammelt er mehr Stichproben für seine Arbeit.

Am Ende leidet nur eine: die Wanze. Nachdem der Biologe per Kanüle das Blut aus ihrem Hinterleib gezogen hat, trennt er den Kopf ab. "Eine Spritze benutzt man ja auch nur einmal."

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