Stuttgart 21: Bahnhof kommt unter die Erde

Architektur: Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf baut in Stuttgart ein ästhetisches Wunder.

Düsseldorf/Stuttgart. Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven gehört zu den Großen seines Fachs. Nun wird sein mehrfach ausgezeichnetes Bahnhofs-Projekt in Stuttgart Wirklichkeit. Als Architekt und Generalplaner baut er den neuen Hauptbahnhof der Neckarmetropole und vertauscht den altehrwürdigen Kopfbahnhof mit einem genial konstruierten Durchgangsbahnhof in Tieflage. Auf der frei werdenden Gleisfläche entsteht ein neuer Stadtteil mit 11 000 Wohneinheiten und Büros für 24 000 Beschäftigte, als Stadt in der Stadt. Die neue Innenstadt geht nahtlos in die Altstadt über.

Ingenhoven läutet damit zugleich das größte städtebauliche Infrastrukturprogramm, "Stuttgart 21", in Baden-Württemberg ein, den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Stuttgart-Ulm. Der Gesamtkomplex mit vier Tunneln beläuft sich auf 4,8 Milliarden Euro und hat die größte Baustelle Europas zur Folge. Die Fahrtzeit zwischen den beiden Städten beträgt dann nur noch 28 Minuten (statt bisher 54 Minuten).

Der Bahnhof selbst gehört zum Tunnelabschnitt 1 und wird von Ingenhoven mit einem Bauvolumen von 500 bis 700 Millionen Euro beziffert. Er gilt als Dreh- und Angelpunkt der Umstrukturierung. Auffälligstes Detail sind die "Lichtaugen", das sind riesige Fenster in Pyramidenform auf dem Dach, für das natürliche Licht. Eine auf das Minimum reduzierte Betonschalen-Konstruktion überspannt die Bahnsteige und verbindet die Innenstadt mit dem historischen Schlossgarten. Die Grundlagen der Konstruktion wurden mit Frei Otto als Berater entwickelt. Der Beratervertrag lief 2002/2003 aus. Ingenhoven und sein Düsseldorfer Team korrigierten und planten mehr als zehn Jahre an dem Projekt.

28 Lichtaugen sollen den unterirdischen Bahnhof völlig natürlich belichten und belüften. Für Heizung, Kühlung und Beleuchtung wird keine Energie benötigt. Ein Bahnhof als Null-Energie-Gebäude also. In der Vergangenheit wurde er für dieses ökologische und ästhetische Wunder mehrfach preisgekrönt.

Pläne Das gigantische Bauvorhaben Stuttgart 21 wird das Gesicht der baden-württembergischen Landeshauptstadt für immer verändern. Der Umbau des alten Kopfbahnhofs (Foto) in eine unterirdische Durchgangsstation ist eine Chance für die Stadtentwicklung: Das Gelände rund um den Bahnhof wird ganz anders genutzt werden als bisher. In den kommenden Jahren sollen in der Stadt insgesamt 28 000 Wohnungen gebaut werden - ein Großteil (11 000) davon auf dem Gelände von Stuttgart 21. Von 24 000 Arbeitsplätzen ist die Rede. Die Stuttgarter Innenstadt werde zur "größten Baustelle Europas", frohlockt die IG Bau.

Neuer Bahnhof Mit dem Tunnelabschnitt 1 wird 2010 begonnen. In diesem Bereich liegt der neue Bahnhof, mit dessen vorbereitenden Maßnahmen Ende 2008/Anfang 2009 begonnen wird.

Kritik Das Projekt ist umstritten. Eine Bürgerinitiative befürchtet, dass die Autofahrer durch die Wohngebiete schlängeln, um die Baustelle zu umgehen. Die Abgase der Baustellen-Lastwagen würden die Feinstaub- und Kohlendioxidwerte in die Höhe treiben. "Dabei hat die Stadtmitte schon den bundesweit höchsten Feinstaubwert", klagt die Initiative. Ihr würde die Modernisierung des alten Kopf-Bahnhofes ausreichen.

Büro Christoph Ingenhoven gründete 1985 sein Architekturbüro. Es sitzt heute in der Düsseldorfer Plange Mühle, einer umgebauten, ehemaligen Weizenmehlmühle im Medienhafen und hat rund 70 Mitarbeiter.

Stil Der 47-Jährige, Absolvent sowohl der Technischen Hochschule in Aachen wie der Kunstakademie Düsseldorf, besticht in seinen Bauten durch eine unangestrengte Leichtigkeit, Eleganz und Transparenz. Der Architekturpapst Wolfgang Pehnt nennt es einen "heiteren und gelassenen, neu definierten Funktionalismus".

Bauten Ingenhovens Pioniertaten waren etwa 1997 der RWE-Turm in Essen als zweischalige Fassade mit Lüftungsschächten zwischen innerer und äußerer Glashaut, um das Innenklima des Gebäudes durch Luftzirkulation zu regulieren. Der Turm wurde zum Prototypen für ökologische Hightech-Architektur. In Düsseldorf verwandelte er die ehemalige Turbinenhalle der Stadtwerke in einen Festsaal, beließ die Dampfkessel und Kohlebunker, die Förder- und Beschickungsanlagen als Erinnerungsobjekte und gönnt den 800 Mitarbeitern begrünte Wintergärten als Klimapuffer vor den Bürofenstern.

Pläne Er gewann vor einigen Monaten den Realisierungswettbewerb für ein 139 Meter hohes Hochhaus in Sydney, baute in Osaka ein technisch-elegantes Hochhaus und in Luxemburg transparente, halbrunde Glashüllen. In Düsseldorf entsteht das Sky Office als 23-geschossige Landmarke am Kennedydamm, mit dem Grundriss einer Doppellinse aus gegeneinander versetzten Gebäuden.

Absage Nur ein Projekt gab Christoph Ingenhoven kommentarlos zurück: Die Bebauung des Düsseldorfer Kö-Bogens, deren Ideengeber und "Vater" er war. Dort hatte er 2003 "aus Spaß und Begeisterung für seine Heimatstadt Düsseldorf" ein Konzept entwickelt, mit einem autofreien Hofgarten und einer gläsernen Bebauung im Kö-Bogen. Als die Stadt die Bürger bat, über diverse Fassaden-Vorschläge abzustimmen, zog Ingenhoven kurz nach Abgabeschluss seinen Entwurf zurück: "Ein Architekt muss auch die Fassade machen, ich kann da nicht auf irgendwelche anderen Leute Rücksicht nehmen."

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