Sprache: Das total verduzte Deutschland

Kommt die Anrede „Sie“ bald auf die rote Liste der bedrohten Worte? Eine Kulturgeschichte des Duzens.

Berlin. Namenstechnisch ist bei der Norisbank neuerdings alles anders. Nicht nur, dass die Norisbank jetzt Teambank heißt: Zur Reform zählt auch, dass sich alle duzen und damit auch Vorstandschef Theophil Grabant für Azubis schlicht "der Theophil" ist.

Das lähmte an den ersten Tagen nach der Umstellung so manchem die Zunge; einen Workshop und einige hundert Verhaspler weiter läuft jedoch mittlerweile keiner mehr beim Duzen rot an. "Es handelt sich nicht um ein Sympathie-Du, sondern um einen Audruck von Professionalität im Sinne des englischen you", sagt Theophil Grabant.

Bei Ikea ist das "Sie" schon seit Jahr und Tag ein Unwort. Ob als Deutschland-Chef oder als Köttbullar-Koch: Im Arbeitsvertrag unterschreibt jeder neue Mitarbeiter eine Klausel, durch die er sich zum Ikea-Du verpflichtet, weil das ein Gefühl von "tipis sverige Snörrigkeit" vermittelt.

Das Ikea-Du macht auch vor dem Kunden und seiner Beziehung zur Sultan-Federkern-Matratze nicht halt: "Wann hast du eigentlich das letzte Mal deine Matratze gewechselt?", investigiert der Ikea-Katalog, und aus dem Lautsprecher tönt: "Hej, jetzt kannst du dein Badezimmer komplett neu einrichten und dabei noch sparen!"

Kennenlernen Wenn man jemanden nicht persönlich kennt: zunächst immer siezen. Das Duzen eines Fremden wird häufig als Nichtachtung interpretiert und wirkt dann beleidigend. Ein solches vorschnelles Du kann leicht dazu führen, dass man schroff zurückgewiesen wird - auch bei jüngeren Leuten.

Du Anbieten Jede Frau hat das Recht, Männern das Du anzubieten. Vorausgesetzt, der Schritt war wohl überlegt, ist es für Männer ein Akt der Höflichkeit, dieses Du anzunehmen. Eine Ablehnung bleibt tabu. Wertlos ist das Angebot dann, wenn die Frau betrunken war.

Vorrecht des Alters Wenn eine Frau einer anderen Frau bzw. ein Mann einer Frau oder einem anderen Mann das Du anbietet, gilt: Der/die Ältere bietet dem Jüngeren das Du an, der Chef dem Angestellten, der Ranghöhere dem Rangniedrigeren. Selbstverständlich besteht das Recht, das Angebot auszuschlagen, wenn dies sensibel und höflich geschieht. Beispiel: "Seien Sie mir nicht böse, aber ich möchte vorerst lieber noch beim Sie bleiben!"

Jugendliche Ab dem 16. Lebensjahr siezt man Jugendliche und nennt sie beim Vornamen. Es sei denn, man kennt sich von früher. Das Sie und den Vornamen kann man auch gegenüber den bereits erwachsenen Freunden der Kinder verwenden.

Im Büro Wer neu in einer Firma anfängt, sollte genau auf die dortigen Gepflogenheiten achten. Wenn sich alle Kollegen duzen, sollte man sich nicht ausschließen. Im Zweifelsfall jedoch gilt es, vorsichtig anzufragen, ob ein Duzen in Ordnung ist.

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