Loveparade-Katastrophe Loveparade-Prozess: Zwei weitere Zeugen schildern den Horror von Duisburg

Düsseldorf. Wie war das damals, am 24. Juli 2010 im tödlichen Gedränge der Loveparade-Katastrophe? Wie konnte es passieren, dass in Duisburg 21 junge Menschen starben und mehr als 650 verletzt wurden?

Loveparade-Katastrophe: Loveparade-Prozess: Zwei weitere Zeugen schildern den Horror von Duisburg
Foto: Martin Gerten/dpa

Vom Landgericht Duisburg wurden am Dienstag zwei weitere Zeugen vernommen, die sich mitten im tödlichen Gedränge befunden hatten.

Loveparade-Katastrophe: Loveparade-Prozess: Zwei weitere Zeugen schildern den Horror von Duisburg
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Anders als eine junge Frau, die in der vergangenen Woche in dem riesigen Gerichtssaal in der Düsseldorfer Messe ausgesagt hatte, ist Gernot B. ohne Verletzungen und ohne Trauma aus der Sache herausgekommen. Jedenfalls sagt er das selbst so. Und wundert sich, als der Richter ihm dann aus einem ärztlichen Attest vorliest, das ihm durchaus eine Traumatisierung bescheinigte. Auch für den heute 34 Jahre alten Softwareentwickler, der mit ein paar Freunden zur Loveparade gegangen war, war die Sache lebensbedrohlich. Als er nur noch wenige Meter von der Treppe entfernt ist, über die sich einige Menschen aus dem tödlichen Gedränge retten, geht es nicht mehr vor oder zurück.

Der Braunschweiger schildert, wie er in der Enge völlig bewegungsunfähig wird, der linke Arm nach unten, der rechte über seinem Kopf. Und so kann er auch nicht helfen, als neben ihm eine junge Frau hyperventiliert. „Dann waren ihre Augen leblos, verdrehten sich nach oben“, erzählt er. Er habe noch versucht, ihr unter den Arm zu greifen, sie hoch zu ziehen, doch er schafft es nicht, ist selbst eingeengt und bewegungslos. Das Letzte, was er von ihr sieht, ist, dass sie zwischen den anderen Menschen nach unten versinkt. Was aus ihr geworden ist, hat er nie erfahren, „ich vermute, dass sie gestorben ist“, sagt er.

Spätestens da wird ihm klar, dass die Situation tödlich ist. „Ich hatte Angst um mein Leben, habe aber versucht, kühlen Kopf zu bewahren, habe nicht wie einige andere versucht, mich aus der Menge herauszudrücken.“ Irgendwann gibt es einen Stoß, der sich durch die Menge fortpflanzt, er und andere um ihn herum geraten in Schräglage, die Füße noch so eben auf dem Boden. Dann werden zunächst vereinzelt Menschen aus der Menge herausgezogen, sein Freund Marco sei ohnmächtig geworden, „ich habe ihm mit flacher Hand ins Gesicht geschlagen, er solle durchhalten“. Irgendwann seien dann viele Helfer dagewesen, er habe die Treppe hinaufgehen können und später auch seine Freunde wiedergefunden.

Der zweite Zeuge an diesem Tag hat eine andere Perspektive: Der 42-jährige Mehmet B. macht auf den ersten Blick einen gefestigten Eindruck. Doch im Laufe der Vernehmung kommt durch, wie ihn dieser Tag aus der Bahn geworfen hat. Der Berufskraftfahrer nimmt bis heute Medikamente, die ihm das Bedienen von Maschinen, das Fahren von Autos verbieten. Er hatte Gesprächstherapien, nahm Antidepressiva, die Lebenslust sei ihm verloren gegangen. Er könne heute höchstens noch mal in der Trinkhalle aushelfen. Er mache sich Vorwürfe, wie er sich damals verhalten habe, sagt er.

Auch er erzählt von Wellenbewegungen der Masse, auch für ihn sei die Treppe wie ein Magnet gewesen. Ein möglicher Fluchtweg. Auf dem Weg dahin habe er sich „mit viel Körpereinsatz durch die Menschenmenge gedrängelt“. Jeder sei gewalttätig gewesen, rechtfertigt er sich, jeder habe doch sein Leben retten wollen. Schließlich habe er die Treppe erreicht. Ein junger Mann habe ihn hochziehen wollen, diesen habe dann aber die Kraft verlassen, er ließ los. So sei er unten aufgeschlagen.

Dann sei schon die Polizei dagewesen. Und habe ihm einen Weg aus der Enge hinaus gewiesen. Er sei high gewesen (von welchen Rauschmitteln, will er nicht so recht sagen), deshalb sei er trotz der Schmerzen noch mit seinen Kumpels bis spät in der Nacht auf der Loveparade geblieben. Erst durch die Fernsehteams, „die Interviews machen wollten“, habe er von den Ausmaßen des Unglücks erfahren.

Das Land NRW will mit dem Haushalt 2018 insgesamt 400.000 Euro zur Verfügung stellen. Davon gehen 300.000 Euro an die Stiftung „Duisburg 24.07.2010“, die Angehörige während des Prozesses psychologisch und seelsorgerisch mit einem Betreuungsteam unterstützt. Ein Änderungsantrag zum Haushalt sieht außerdem weitere 100.000 Euro vor, mit denen Unterkunfts- und Reisekosten der Nebenkläger beim Prozess teilweise übernommen werden sollen.

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