Duisburg Loveparade: Die strafrechtliche Aufarbeitung des Unglücks vom 24. Juli 2010

Fast sechs Jahre nach der Loveparade-Tragödie hat das Landgericht Duisburg eine wichtige Entscheidung getroffen: Es soll keine Gerichtsverhandlung geben. Fragen und Antworten.

Blick aus dem Tunnel an der Loveparade-Gedenkstätte in Duisburg.

Blick aus dem Tunnel an der Loveparade-Gedenkstätte in Duisburg.

Foto: Federico Gambarini

Duisburg. Am 24. Juli 2010 starben bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen. Mindestens 652 erlitten Verletzungen. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hatte nach jahrelangen Ermittlungen am 10. Februar 2014 Anklage gegen zehn Beteiligte erhoben. Das Landgericht Duisburg ließ die Klage nun nicht zu. Mit einer Beschwerde gegen diesen Beschluss ist zu rechnen. Bestätigt das Oberlandesgericht die Entscheidung, gibt es keinen Strafprozess.

Wie viele Menschen waren mit den Ermittlungen befasst?

Mehr als 100. Gut dreieinhalb Jahre dauerten die Ermittlungen. 96 Polizeibeamte des Polizeipräsidiums vernahmen 3409 Zeugen und sichteten Videomaterial in einer Gesamtlänge von 963 Stunden. Fünf Staatsanwälte und ein Abteilungsleiter waren mit dem Fall befasst.

Wer war angeklagt und warum?

Sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent, einer Tochtergesellschaft des Fitnessketten-Unternehmers Rainer Schaller („McFit“), die einige Jahre zuvor die Rechte an der Loveparade erworben hatte. Allen zehn warf die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor.

Welche Fehler sollen die zehn gemacht haben?

Die vier damals leitenden Beschäftigten des Unternehmens sollen ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem für die Veranstaltung geplant haben, die auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs stattfand. Die Besucher sollten vor allem über diese Rampe auf das Gelände - und über die gleiche Rampe auch wieder runter. Diese Rampe soll zu eng gewesen sein. Alle vier sind mittlerweile nicht mehr bei Lopavent beschäftigt.

Drei Sachbearbeiter des Bauamtes sollen die Genehmigung für bauliche Maßnahmen wie etwa die Einzäunung erteilt haben, ohne dass die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Drei Vorgesetzte sollen wiederum das Baugenehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt haben.

Warum wurde kein Polizist angeklagt?

Ein Sachverständiger hatte festgestellt, dass Polizeimaßnahmen nicht die Ursache für das Unglück waren. Auch hatten nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft die leitenden Beamten keine Maßnahmen unterlassen, mit denen der tödliche Ausgang des Geschehens noch hätte abgewendet werden können. „Die drohende Gefahr von Todesfällen (...) war nicht bereits am frühen Nachmittag, sondern erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt erkennbar, als es ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen nicht mehr möglich war, das weitere Geschehen aufzuhalten“, hieß es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung von 2014.

Warum wurden der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Lopavent-Besitzer Rainer Schaller als Veranstalter nicht angeklagt?

Auch das hat die Staatsanwaltschaft damals beantwortet: Es lagen ihr keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die beiden selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben. „Sie durften auch darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden.“

Warum lässt das Landgericht die Anklagen jetzt nicht zu?

Das Gericht sagt, dass die Vorwürfe der Anklage mit dem Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still nicht bewiesen werden können. Auf dieses Gutachten stützt sich jedoch die ganze Anklage. Das Gutachten ist nach Ansicht des Gerichts „nicht verwertbar“. Es leide an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln.

Welche Fakten über das Unglück stehen eigentlich fest?

Eine breite Rampe war gleichzeitig Ein- und Ausgang. Am Nachmittag strömten zahlreiche Besucher aus mehreren Richtungen unkontrolliert auf die Rampe. Zwischen 16.30 und 17.15 Uhr drängten sich auf kleinem Raum mehrere zehntausend Menschen. An einigen Stellen wurde der Druck so groß, dass Menschen starben und mehrere hundert verletzt wurden.

Woher kamen die Todesopfer?

Aus Deutschland (15), Australien (1), den Niederlanden (1), Spanien (2), Italien (1) und China (1).

Wie geht es den Angehörigen?

Jörn Teich von der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“, der selbst bei der Loveparade dabei war, sagte im Frühjahr: „Sie sind zermürbt, enttäuscht, frustriert, wütend, in tiefer Trauer darüber, dass sie für den Tod ihrer Angehörigen vor Gericht noch keine Gerechtigkeit fordern konnten.“ Viele seien noch in psychologischer Behandlung.

Und wie geht es den Verletzten?

Es gibt Menschen, die so schwer traumatisiert wurden, dass sie noch nicht wieder arbeiten können.

Was gibt es für Hilfsangebote für die Verletzten und Hinterbliebenen?

Zum fünften Jahrestag wurde die Stiftung „Duisburg 24.7.2010“ gegründet. In den Stiftungsgremien sind die Stadt Duisburg, Unternehmen, die Notfallseelsorge, Angehörige und Verletzte vertreten. Der Ombudsmann der Stadt Duisburg für die Opfer der Loveparade, Pfarrer Jürgen Widera, ist Vorstandsmitglied. Die Stiftung unterhält eine Beratungsstelle. Sie vermittelt unter anderem Therapeuten, hilft beim Ausfüllen von Behördenanträgen und führt Gespräche mit Krankenkassen. Vermittelt wird außerdem der Kontakt zu Selbsthilfegruppen. Die Beratungsstelle steht derzeit mit rund 150 Betroffenen in Kontakt.

Wo und wie wird der Opfer gedacht?

Die zentrale Gedenkstätte befindet sich am Unglücksort in Duisburg an der Stelle, an der die meisten Menschen tödliche Verletzungen erlitten. Auf einer Stahlplatte steht dort in mehreren Sprachen: „Liebe hört niemals auf“. Ein Großteil der Unglücksrampe, die von einem Straßentunnel auf den ehemaligen Güterbahnhof führte, wurde vor einigen Jahren bis auf den Ort der Gedenkstätte zugeschüttet. An der Gedenkstätte gibt es jedes Jahr zum Jahrestag eine Gedenkfeier. Auf dem Güterbahnhofs-Gelände soll eines Tages ein Möbelhaus entstehen. Die Gedenkstätte soll aber bleiben. Außerdem erinnern auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs 21 in Stahlkästen gepflanzte Magnolienbäume an die Todesopfer.

Duisburg: Loveparade: Die strafrechtliche Aufarbeitung des Unglücks vom 24. Juli 2010
Foto: dpa-infografik GmbH
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