Bedrohung Soldaten schützen Belgiens Atomreaktoren

Die Regierung nimmt Hinweise auf eine terroristische Bedrohung der grenznahen Kernreaktoren Tihange und Doel nun doch ernst.

Bedrohung: Soldaten schützen Belgiens Atomreaktoren
Foto: dpa

Aachen/Brüssel. Die belgischen Atomkraftwerke sollen künftig vom Militär bewacht werden. Die Soldaten sollen die Anlagen vor Terrorangriffen schützen. Der belgische Innenminister Jan Jambon kündigte an, dass 140 Soldaten die AKW in Tihange bei Lüttich, Doel bei Antwerpen, aber auch das Institut für Radioelemente in Fleurus und das Studienzentrum für Kernenergie in Mol bewachen sollen.

Daneben werde eine Spezialtruppe der Polizei gebildet und ausgebildet, um diese Aufgaben später übernehmen zu können, wie belgische Medien berichteten. Der Einsatz der Soldaten soll diese Zeit demnach überbrücken. Diese Entscheidung der belgischen Regierung kommt überraschend.

Die Sorge, dass belgische Atomkraftwerke potenzielle Anschlagziele für Terroristen sind, ist nicht neu. Nach dem Attentat in Paris auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 hatte Alexis Housiaux, der Bürgermeister von Huy, um Spezialkräfte gebeten. Sie sollten das AKW Tihange schützen. Dieser Bitte war das Innenministerium damals nicht nachgekommen. Trotz einer erhöhten Gefahrenlage sah die belgische Regierung keinen Anlass, die atomaren Anlagen zu schützen. Daraufhin sei die örtliche Polizei zeitweise verstärkt worden, wie Housiaux unserer Zeitung mitteilte.

Woher also rührt nun der plötzliche Sinneswandel der belgischen Regierung? Vielleicht, weil inzwischen feststeht, dass die Terroristen, die am 13. November 2015 die Attentate von Paris begangen haben, auch die belgischen Atomkraftwerke als mögliche Anschlagziele ins Visier genommen hatten. Darauf weist ein Video im Internet hin. Das nächste Ziel nach Paris war, so zeigten es Recherchen einer französischen Tageszeitung, Zugang zu einer der Atomanlagen zu bekommen und so einen atomaren Zwischenfall in Europa zu produzieren. Die Bedrohung soll weiterhin bestehen.

Nach dieser Erkenntnislage wäre es nicht nur fahrlässig, sondern es gäbe außerdem ein mehr als schlechtes Bild ab, wenn Belgien immer noch nicht handelte. Zumal die Bewachung, die rund um die Uhr laufen soll, den belgischen Staat nichts kosten soll. Der Betreiber der belgischen Atomkraftwerke, die Engie-Tochter Electrabel, soll für die militärische Überwachung zahlen.

Und auch in einer anderen Frage bezüglich der AKW macht die belgische Regierung Versprechungen. Energieministerin Marie-Christin Marghem arbeitet zurzeit an einer Staatsgarantie für den AKW-Betreiber Electrabel. Ein neues Gesetz hat die Schadenersatzpflicht für AKW-Betreiber erweitert. Die Versicherungen wollen diese neuen Risiken aber wohl nicht decken. Erst kürzlich war bekanntgeworden, dass bei einem Super-GAU im wegen Tausender Haarrisse umstrittenen Meiler Tihange 2 den Geschädigten rechnerisch nur minimale Entschädigungsbeträge gezahlt würde. Für Millionen Geschädigte stünden demnach insgesamt lediglich maximal 3,85 Milliarden Euro als Schadenersatz-Summe bereit, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht.

Betreiber wie Electrabel haften in Belgien außerdem maximal in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für aus nuklearen Ereignissen entstandene Drittschäden. Doch selbst wenn es noch keine Staatsgarantie gebe, müsste im Zweifel ohnehin der belgische Staat einspringen, sagt Tobias Heldt, Experte für Haftungsfragen. Das gelte auch für Entschädigungen deutsche Opfer.

Unterdessen will Nordrhein-Westfalen bei der EU und den Vereinten Nationen Beschwerde gegen den Betrieb der umstrittenen Atomkraftwerke in Belgien einlegen. Nach einem Gutachten gebe es erhebliche rechtliche Verfehlungen bei der Laufzeitverlängerung für Doel 1 und 2 bei Antwerpen und Tihange 1 rund 70 Kilometer von Aachen entfernt, teilte die Landesregierung am Dienstag mit.

„Wir haben erhebliche Zweifel nicht nur an der Betriebssicherheit, sondern auch, ob die Laufzeitverlängerung durch die belgische Regierung mit europäischem und internationalem Recht vereinbar ist“, stellte Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) in einer Mitteilung fest.

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