Senioren entführen Berater

74-Jähriger gibt zu, seinen Finanzberater aus Wut über Millionenverlust eingesperrt zu haben.

Traunstein. Es sei keine Entführung gewesen, sondern eine Einladung "für ein paar Tage Urlaub in Oberbayern". Der Hauptangeklagte ist zu Prozessbeginn vor dem Landgericht Traunstein im Prinzip geständig, hat aber seine eigene Version von der Tat im Juni 2009.

Seit Montag müssen sich zwei Rentner-Ehepaare aus Oberbayern und ein Komplize wegen Geiselnahme und schwerer Körperverletzung verantworten. Die Beschuldigten besitzen Häuser in Florida. Dort kamen sie mit ihrem späteren Opfer in Kontakt, auf dessen Anraten sie 1,04 Millionen Euro in den USA anlegten. Der fünfte Angeklagte arbeitete vorübergehend für den Berater und war der Ansicht, dieser sei ihm noch Geld schuldig.

Den Angeklagten im Alter zwischen 60 und 79 Jahren wird vorgeworfen, ihren Finanzberater entführt und im Keller tagelang als Geisel genommen zu haben. Der Vorsitzende Richter hat große Mühe, den Redefluss des 74Jahre alten Hauptangeklagten für Fragen zu stoppen. Bis ins kleinste Detail schildert der Ex-Bauunternehmer, wie sich in den ersten Jahren die in den USA angelegten Dollar vermehrten.

Zwölf Prozent Zinsen brachte die Anlage. "Die Zinszahlungen erfolgten pünktlichst", berichtet der Angeklagte. Doch Ende 2007 zahlte der Berater nicht mehr. Die US-Immobilienkrise schlägt zu. Doch die Rentner wollen ihre Millionen zurück.

Nach mehreren erfolglosen Treffen mit dem inzwischen in Speyer lebenden Anlageberater entschließt sich der Rentner, das Geld in einem "Finalgespräch" einzutreiben. Mit dem 60 Jahre alten Komplizen fährt er am 16.Juni 2009 nach Rheinland-Pfalz, um den Finanzberater notfalls im heimischen Chieming zur Zahlung zu zwingen. "Bitte zücken Sie Ihr Scheckbuch und zahlen Sie mich aus", will er gesagt haben.

Als der 67-Jährige noch immer nicht mit sich reden lässt, wird er nach der Schilderung des Hauptangeklagten in der Wohnung in eine aus Umzugskartons gebaute Kiste gesteckt und mit einer Sackkarre in den Kofferraum verfrachtet. "Ist er freiwillig eingestiegen in die Kiste?", fragt der Vorsitzende Richter sarkastisch. Der Angeklagte antwortet ernst, dass das Opfer sich überhaupt nicht gewehrt habe. Das mag auch daran gelegen haben, dass der Berater gefesselt und sein Mund mit Isolierband verklebt war.

Den Kofferraum will er mit einem "Luftpolsterfolienbett" ausgeschlagen haben. "Ich habe noch ein Schaumstoffkissen untergelegt, damit er bequem liegt", sagt der Angeklagte. Einen Fluchtversuch des Opfers während einer Rast wandelt der Angeklagte bei seiner Aussage zum gegen ihn gerichteten Mordanschlag mit einem Brecheisen um. Er führt dem Richter sogar vor, wie der 57-Jährige das Eisen gegen ihn richtete. Dann aber prügelten die beiden Rentner den Mann zum Auto zurück und brachen ihm dabei zwei Rippen.

Das mit Gittern präparierte Verlies im Keller des Chieminger Anwesens beschreibt der 74-Jährige als "Notgästezimmer" samt Nasszelle. Laut Anklage hat sich der Finanzberater dort "einer Art Femegericht" stellen müssen, in dem ihm klar gemacht worden sei, dass er umgerechnet 2,4 Millionen Euro zahlen müsse.

Dabei hätten alle Angeklagten im Halbkreis um das Entführungsopfer gesessen, in einem Wandregal habe griffbereit eine durchgeladene Pistole Walter PPK gelegen. Der Hauptangeklagte habe dem Mann erklärt, dass er umgebracht werde, wenn er nicht zahle.

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