Schwere Vorwürfe nach Wolga-Schiffskatastrophe

Moskau (dpa) - Nach dem Schiffsunglück auf der Wolga trauert Russland um die wohl mehr als 110 Toten, darunter viele Kinder. Überlebende und Ermittler werfen den Betreibern groben Leichtsinn und Schlamperei vor.

Taucher bargen die Leichen des Kapitäns und seiner Frau aus der Wolga. Damit stieg die Zahl der an die Oberfläche gebrachten Opfer am Dienstag auf 88, davon 19 Kinder. Wahrscheinlich ertranken bei der verheerenden Schiffskatastrophe von Sonntag mehr als 110 Menschen, teilten die Einsatzkräfte nach Angaben der Agentur Interfax mit. In dem Wrack der „Bulgaria“, die rund 750 Kilometer östlich von Moskau bei einem Sturm untergegangen war, erreichten Taucher auch den „musikalischen Salon“. Allein dort sollen sich zum Zeitpunkt des Unglücks 40 Kinder aufgehalten haben.

Die Polizei nahm die Betreiber des Ausflugsschiffs wegen Missachtung der Sicherheitsvorschriften fest. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die 1955 erbaute „Bulgaria“ sei technisch marode gewesen und ohne nötige Lizenz gefahren, sagten Ermittler. Eine bereits 1980 abgelaufene Betriebserlaubnis des Boots sei offensichtlich nie rechtskräftig verlängert worden, hieß es.

Die Schuld liege aber nicht allein an den Unternehmern, sie würden Verantwortungslosigkeit und korrupte Strukturen ausnutzen, hieß es in russischen Medien. „Ohne Protektion von oben kann man ein solches Geschäft nicht betreiben.“ Regierungschef Wladimir Putin sagte den Hinterbliebenen Finanzhilfen bis zu umgerechnet 25 000 Euro zu.

Russland gedachte mit einer Staatstrauer der Opfer. An öffentlichen Gebäuden wurden Fahnen auf Halbmast gesenkt, größere Veranstaltungen wurden abgesagt. Das Fernsehen verzichtete auf Unterhaltungssendungen. An vielen Stellen entlang der Wolga legten Menschen Blumen nieder. Nach letzten Angaben waren 79 der schätzungsweise 200 Menschen an Bord gerettet worden.

Überlebende der Havarie nannten technische Mängel als eine der Hauptursachen für den Untergang. „Der Kahn knarrte wie ein alter Leiterwagen“, sagte einer der Passagiere. Das von einem Unwetter aufgewühlte Wasser sei durch die offenen Bullaugen geströmt und habe das Schiff innerhalb von drei Minuten zum Kentern gebracht.

Der Kapitän missachtete nach Darstellung der Behörden Unwetterwarnungen, zudem hatte das für 140 Passagiere gebaute Ausflugsschiff viel zu viele Menschen an Bord. Ein ehemaliger Mechaniker der „Bulgaria“ räumte ein, dass zur Reparatur der Motoren aus Kostengründen nie Orginal-Ersatzteile benutzt worden waren.

An der Unglücksstelle etwa drei Kilometer vom Ufer entfernt waren weiter mehr als 100 Taucher und 300 Helfer im Einsatz. Vorbereitet wurde außerdem ein Großeinsatz zur Bergung des Wracks. Die russische Regierung hat eine Überprüfung der Binnenflotte angekündigt und will alte Doppeldeckschiffe vom Typ der „Bulgaria“ aus dem Verkehr ziehen.

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