Sandmännchen im Streik: Schulkinder brauchen Schlafrituale

Marburg (dpa/tmn) — Machtspielchen, Bauchweh oder einfach eine Nachteule? Die Gründe, warum Kinder abends nicht ins Bett gehen wollen, sind vielfältig. Grund zur Sorge sind sie nicht immer. Dennoch sollten Eltern hinschauen, denn Schlafmangel kann schwere Folgen haben.

„Ich habe Durst. Ich muss nochmal. Ich will eine Wärmflasche. Da sitzt ein Mann im Schrank.“ Wenn Kinder abends den Schlaf hinauszögern wollen, sind sie grenzenlos kreativ. Nach dem Ärger der Eltern folgt nach einiger Zeit die Sorge: Schläft mein Kind genug? Vor allem, wenn Sohn oder Tochter morgens für die Schule fit sein sollen, ist das ein Problem.

Jeder Mensch braucht je nach Alter eine angemessene Portion Schlaf, um zu regenerieren, sagt Prof. Ulrich Koehler, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter gelten als Richtwert neun bis zehn Stunden. Der individuelle Schlafbedarf ist sehr unterschiedlich: „Wenn ein Zweitklässler um sieben Uhr aufstehen muss, reicht es oft aus, wenn er um halb neun abends schläft“, sagt Angelika Schlarb, Psychologin an der Universität Tübingen. Doch halb neun bedeutet in vielen Familien paradiesische Zustände. Denn oft wird es wesentlich später.

„Ein Kriterium, ob ein Kind ausreichend schläft, ist, wie gut es morgens aufsteht. Muss man es mehrfach wecken? Kommt es nur schwer in die Gänge?“, nennt Schlarb als Kriterien. Doch nicht nur das mühevolle Aufstehen kann ein Zeichen für Schlafmangel sein, auch Tagesmüdigkeit deutet darauf hin. „Kinder, die tagsüber unaufmerksam sind, hibbelig, reizbar und kaum noch lernen wollen, schlafen in der Regel zu wenig“, sagt die Hamburger Kinderärztin Annette Lingenauber.

„Wer das Gefühl hat, dass Kind will seine Grenzen austesten und daher nicht ins Bett gehen, sollte klare, verlässliche Regeln für das Zubettgehen aufstellen“, rät Angelika Schlarb. Kleine Abweichungen sind aber erlaubt: Zum Beispiel, dass das Kind im Bett noch liest oder eine CD hört, die Eltern aber nicht mehr stört, schlägt die Kinderärztin Lingenauber vor.

Wenn das Kind abends jedoch nicht zur Ruhe kommt, spielen andere Faktoren eine Rolle. „Da sollte man sich zum einen den Tagesablauf des Kindes genau ansehen“, rät Schlafforscher Prof. Koehler. Das größte Manko ist meist: Vielen Kindern fehlt die Bewegung. Sie sind körperlich nicht ausgepowert und daher nicht müde.

Eine entscheidende Rolle spielt außerdem der Medienkonsum. Selbst Grundschüler haben oft schon Smartphones oder Tablets, auf denen sie bis kurz vor dem Einschlafen spielen oder Filme schauen. „Das aber belastet viele Kinder emotional“, sagt Psychologin Schlarb. Sie empfiehlt daher Sendungen für den Abend, die Kinder nicht zu stark anregen. „Schlafprobleme treten meist bei sensiblen Kindern auf, die von aufregenden Geschichten aufgewühlt werden.“

Manchmal kommen die Kinder aber wegen Sorgen nicht zur Ruhe. „Da hilft es nur, als Eltern genau hinzuhören und mit den Kindern zu reden“, sagt Schlarb. Am besten nicht unmittelbar vor dem Einschlafen, sondern lieber ein, zwei Stunden vorher. Sonst nehmen Kinder den Knatsch mit der Freundin mit ins Bett.

Gleiches gilt für Hausaufgaben. „Wenn ein Kind Probleme mit einer Aufgabe hat oder sogar Angst vor einem bevorstehenden Test, sollte es nicht mehr unmittelbar vor dem Schlaf die Aufgaben erledigen“, empfiehlt Schlarb. Machen die Aufgaben allerdings keine Angst, könne das Wiederholen kurz vor dem Schlaf sehr effektiv sein.

Mit abendlichen Ritualen kann das Kind lernen, runterzukommen. „Es sollte nicht nur eine Pause zwischen Fernsehkonsum und Einschlafen liegen, diese Zeit sollte möglichst auch einen einigermaßen festen Ablauf haben“, sagt Kinderärztin Lingenauber. Die Gute-Nacht-Geschichte sei ein klassisches Mittel, um den Tag ausklingen zu lassen. Diese Routine dürfe zwar ab und zu unterbrochen werden, beispielsweise am Wochenende. Doch bei Kindern mit Einschlafproblemen sei ein stabiler Rhythmus sehr wichtig.

Der Soziologe und Familientherapeut Paul Suer setzt auf ungewöhnliche Methoden. Für ihn lautet das Zauberwort Autonomie. „Kinder, denen die Verantwortung für ihren Schlaf weitgehend überlassen wird, haben oft die wenigstens Einschlaf- und Durchschlafprobleme“, sagt er. Das bedeutet: Kinder entscheiden selbst, wann sie ins Bett gehen und wann sie aufstehen. Das lasse sich natürlich nicht immer durchsetzen, sei aber in den Ferien oder am Wochenende einen Versuch wert.

Für besonders wichtig halten es die Experten, dass Schlaf niemals zur Strafe eingesetzt wird. Mit dem Bett sollten Kinder etwas Schönes verbinden. „Das kann man mit den Kindern gemeinsam gestalten, also das Bett mal neu streichen oder die Bettwäsche mit der Freundin tauschen“, schlägt Schlarb vor. Und ein Kuscheltier sei bei den meisten Kindern, egal wie groß sie sich fühlten, noch immer ein sehr willkommener Schlafbegleiter.

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