Regionalsprachen sterben aus

Kritik von der EU: Deutschland steckt zu wenig Geld in die Förderung von Plattdeutsch & Co.

Brüssel. Niederdeutsch, Obersorbisch und Saterfriesisch — mehr als 2,6 Millionen Deutsche sprechen eine Minderheiten- oder Regionalsprache. Doch die Zahl der Sprecher sinkt. Der Europarat kritisiert in einem aktuellen Bericht, die Bundesländer steckten nicht genug Geld in die Förderung dieser Sprachen. Es mangele an Lehrern, Kulturangeboten und geeigneten Ansprechpartnern bei Behörden.

Eigentlich müsste der deutsche Staat Fördermaßnahmen anbieten und der Sprache Raum im öffentlichen Leben geben — vom Schulunterricht bis zu Gerichtsverfahren. Auch Urkunden müssten darin verfasst werden können. Dazu hat sich Deutschland verpflichtet, als es 1998 die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen unterzeichnete. In der Praxis jedoch ringen die Vertreter um einen Platz für ihre Sprache.

„Der Sprachentod steht nicht unmittelbar, aber doch fast bevor“, sagt Reinhard Goltz, Geschäftsführer des Bremer Instituts für Niederdeutsche Sprache. Er vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von mehr als 2,5 Millionen Platt-Sprechern im norddeutschen Raum. Doch die Sprache hat ein Imageproblem, gilt laut Goltz als rückwärtsgewandt: „Plattdeutsch ist schlechtes Hochdeutsch — so sitzt das in vielen Köpfen fest.“ Gerade junge Menschen verlören die Sprache der Eltern oder Großeltern.

Gerade an Schulen werde zu wenig für den Erhalt getan. Das niedersächsische Kultusministerium weist diesen Vorwurf zurück. Schulen, die die Sprache in den Lehrplan aufnehmen, würden unterstützt. Seit zwei Jahren fänden auch Fortbildungskurse für Lehrer statt. Diese Maßnahmen lässt sich das Bundesland „einen mittleren sechsstelligen Betrag“ kosten.

Die Hamburger Bildungspolitik dagegen lässt das Herz des Sprachforschers höher schlagen: Seit vergangenem Sommer bekommen die ersten Grundschüler Plattdeutsch-Unterricht.

Aber warum überhaupt Geld und Personal in eine schwächelnde Sprache investieren? Goltz sagt: „Von wegen: Es kann doch jeder Hochdeutsch.“ Manche Ältere sprächen nur Platt, auch vor Gericht sagten manche Zeugen auf Platt aus, weil sie sich damit sicherer fühlten. Goltz geht es nicht um eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung. „Wir haben einen kulturellen Schatz. Den können wir jetzt über Bord schmeißen. Oder wir können gucken, was man damit anfangen könnte.“

Die Frage, was man mit einer Minderheitensprache anfangen soll, beantwortet Bernhard Zisch gelassen. Er ist Geschäftsführer des Bundes der Lausitzer Sorben und ist vom Nutzen der sprachlichen Landschaftspflege überzeugt. „Mit Deutsch erreichen Sie weltweit 100 Millionen Deutschsprachige. Mit Sorbisch erreichen Sie 150 Millionen Slawen“, sagt Zisch. Sorbisch könne als „Brückensprache“ dienen, Sprechern falle es leichter, Polnisch oder Tschechisch zu erlernen. Ein linguistischer Heimvorteil für die 60 000 Sorben.

Um Bautzen und Hoyerswerda herrscht das Sorbische laut Zisch sogar vor: „Dort fallen Sie auf, wenn Sie Deutsch sprechen.“ Doch auch er klagt über die Sprach-Politik: „Das Schulsystem tut sich schwer“, , es fehlen Lehrer. Das bestätigt das sächsische Kultusministerium: Seit zehn Jahren garantiert das Land sorbischsprachigen Lehramts-Absolventen eine Lehrerstelle — die Zahl geeigneter Bewerber sei jedoch überschaubar.

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