Düsseldorf Prozess: Ist Nachsitzen Freiheitsberaubung?

Musiklehrer muss sich seit Montag vor dem Landgericht verantworten. Ein Schüler hatte aus dem Unterricht die Polizei gerufen.

Düsseldorf: Prozess: Ist Nachsitzen Freiheitsberaubung?
Foto: dpa

Düsseldorf. Normalerweise hat es Richter Rainer Drees mit den ganz schweren Jungs zu tun. Am Montag saß vor ihm Philip Parusel, 50 Jahre alt, Musiklehrer aus Kaarst, auf der Anklagebank des Düsseldorfer Landgerichtes. Der hat niemanden umgebracht und ist auch sonst bisher völlig unauffällig durchs Leben gekommen. Bis zum April vor zwei Jahren. Da setzte sich Parusel mit einer Gitarre an die Tür des Klassenzimmers einer Kaarster Realschule. Angeblich durften mehrere Schüler den Raum nicht verlassen, bis sie eine Strafarbeit abgegeben hatten. Ein 13-jähriger Schüler rief die Polizei, die auch tatsächlich in der Realschule erschien. Es folgte eine Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Vom Neusser Amtsgericht war der Pädagoge tatsächlich zu einer „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ verurteilt worden und hatte dagegen Berufung eingelegt.

Darum geht der Prozess, der bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte, in die zweite Runde. Weil der Unterricht immer wieder gestört wurde, hatte Parusel die 26 Schüler dazu verdonnert, einen Wikipedia-Eintrag über den Geiger Paganini abzuschreiben. Als dann ein Jugendlicher einer Mitschülerin ihren fast fertigen Text wegnahm und zerknüllte, platzte Parusel der Kragen. Er ordnete daraufhin an, dass der Rest der Klasse den Raum erst verlassen dürfe, wenn alle Jungen und Mädchen fertig seien.

„Ich habe mich auch nicht mit der Gitarre in die Tür gesetzt und den Weg versperrt, sondern nur die Zeit genutzt, um ein oder zwei Saiten aufzuziehen“, schilderte der Musiklehrer die Situation. Als einer der Schüler seine Arbeit abgab, soll es zu einem leichten Knuff in der Magengegend gekommen sein. Daraufhin griff der 13-Jährige zu seinem Handy und rief die Polizei. Er behauptete, der Lehrer würde Schüler festhalten und schlagen.

Der Jugendliche sagte am Montag aus, dass er einen Schlag gegen seinen Mitschüler gesehen habe. Das mutmaßliche „Opfer“ wiederum schilderte die Situation mit deutlich weniger Dramatik. Er sei überhaupt nicht verletzt worden. Doch der 13-Jährige legte noch einmal kräftig nach und erklärte, der Musiklehrer würde öfter hysterisch reagieren und mit Gegenständen aufs Pult hauen, um für Ruhe zu sorgen. Der Schüler hatte sogar ein Attest mitgebracht, das ihm eine Panikstörung bescheinigte.

Rainer Drees hätte das denkwürdige Verfahren am Montag am liebsten beendet: „Als Gericht muss man sich fragen, was passiert, wenn wir hier jemand verurteilen. Dann kann es sein, dass Schüler nicht nur gerichtlich gegen Noten vorgehen, sondern auch gegen den Unterrichtsstil.“ Doch sein Appell an Staatsanwaltschaft und Verteidigung zeigte keine Wirkung.

Die Staatsanwaltschaft wehrte sich gegen die Einstellung des Verfahrens und fordert weiterhin auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung. In dem Anklagepunkt war Parusel in der ersten Instanz freigesprochen worden. Der Pädagoge wiederum möchte den Gerichtssaal strafrechtlich mit weißer Weste verlassen.

Darum wird das Verfahren am 6. Februar fortgesetzt. Mit zwölf weiteren Zeugen, die klären sollen, was sich tatsächlich in dem Klassenraum abgespielt hat. Viel Arbeit für den Vorsitzenden Richter Drees, der schon manch größeres Verfahren mit richtigen Verbrechern, aber deutlich weniger Zeugen zu Ende gebracht hat.

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