Prozess: Der „Maskenmann“ bekommt ein Gesicht (mit Video)

Drei kleine Jungen hat er getötet, zahlreiche missbraucht. Als „Maskenmann“ wurde das gesichtslose Phantom bekannt. Die Familien der Opfer blickten dem geständigen Serientäter am Montag vor Gericht erstmals ins Gesicht.

Stade. Der „Maskenmann“ verbirgt seine Augen hinter einer roten Aktenmappe, als er den Gerichtssaal betritt. Die Justizbeamten lösen seine Handschellen. Der geständige Mörder und Kinderschänder lässt den Sichtschutz sinken.

Ein mächtiger Bart bedeckt seine untere Gesichtshälfte, tiefe Ringe liegen unter den Augen, das Haar ist ergraut. Drei kleine Jungen soll der aus Bremen stammende Pädagoge Martin N. erwürgt haben, an zahlreichen verging er sich seinem Geständnis zufolge. Seit Montag muss er sich wegen dreifachen Mordes und sexuellen Missbrauchs in 20 Fällen vor dem Landgericht im niedersächsischen Stade verantworten.

Fast zwei Jahrzehnte hat die Familie von Stefan J. auf diesen Moment gewartet. Der 13-Jährige wurde 1992 getötet, er war das erste Oper. Entführt, gefesselt, missbraucht, erwürgt - trotz der scheußlichen Details bleiben die Eltern und der Bruder von Stefan gefasst. Unverwandt blickt die Mutter zur Anklagebank, will dem mutmaßlichen Mörder ihres Kindes in die Augen sehen.

Doch der große Mann hält den Blick gesenkt. Erst am Ende des ersten Prozesstages wird er kurz hochschauen und mit einem Nicken auf die Fragen des Richters reagieren. Sprechen wird er nicht. „Das war ein merkwürdiges Gefühl“, sagt Stefans Mutter nach der Anklageverlesung. Dass Martin N. nicht einmal aufgeblickt hat, irritiert sie. Gleichzeitig ist sie geschockt vom Ausmaß seiner Verbrechen.

Das Gericht will in dem Prozess erst die Morde abhandeln, danach die sexuellen Übergriffe. Stefans Mutter wird ganz genau zuhören. Die grauenvollen Einzelheiten will sie sich nicht ersparen. Sie will wissen, wie ihr Junge ums Leben kam. Wie Martin N. den 13-Jährigen aus dem Internat in Scheeßel entführte, ihn fesselte, im Auto missbrauchte, erwürgte und dann verscharrte.

Die Familie will endlich Ruhe finden. „Das ist der endgültige Abschluss“, sagt die kleine Frau. Am nächsten Verhandlungstag, am 26. Oktober, wollen die Verteidiger eine Erklärung von Martin N. verlesen. Zum Inhalt äußern sich seine Anwälte nicht. Rechtsanwalt Johannes Giebeler, der den Vater des zweiten Opfers Dennis R. vertritt, geht davon aus, dass der Angeklagte sein Geständnis von April wiederholen wird.

Viele Jahre hatte die Polizei ein gesichtsloses Phantom gesucht. Seit Anfang der 90er Jahren schlug es immer wieder in Wohnhäusern, Schullandheimen und Zeltlagern zu. Getarnt mit einer Maske und dunkler Kleidung drang der Serientäter in die vermeintlich sicheren Räume ein, weckte ein Kind, missbrauchte es und verschwand.

Ein großer „schwarzer Mann“, ein „Maskenmann“ - wie aus einem bösen Traum. Knapp zehn Jahre nach dem dritten Mord am neunjährigen Dennis K. gibt dann ein früheres Missbrauchsopfer der Polizei den entscheidenden Hinweis. Die Ermittler nehmen Martin N. im April in Hamburg fest, wo er inzwischen lebt. Im Verhör gesteht er die drei Morde und rund 40 Missbrauchsfälle.

Etwa die Hälfte davon ist aber inzwischen verjährt. Zum Prozessauftakt meint der Vater von Dennis R.: „Da habe ich sehr lange drauf gewartet, viel zu lange.“ Bis zum Urteil will er im Gegensatz zu Stefans Familie nicht mehr ins Gericht kommen. Dennoch sind sich die Angehörigen einig, wie der Richterspruch aussehen sollte: Der Mörder ihrer Söhne darf nie wieder auf freien Fuß kommen.

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