Papiertheater: Kultspielzeug des Biedermeier

Im 19. Jahrhundert gab es die bunten Pappkulissen und Figuren in fast jeder Bürgerstube. Ganz verloren ist diese Welt nicht. Peter Schauertes Bühne zeigt sich voller Leben.

<strong>Düsseldorf. Wo in wenigen Wochen Geschenke wie iPods, Handys, Laptops und iPhones unter dem Weihnachtsbaum liegen, sorgte zu Zeiten unserer Groß- und Urgroßeltern etwas für strahlende Kinderaugen, was uns heute zumeist unter dem Begriff des Papiertheaters bekannt ist. In den Bürgerstuben des späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert gehörten die knallbunten Pappkulissen auf den Gabentisch, beflügelte das Spiel mit dem Figurentheater an stürmischen Herbst- und Wintertagen die Fantasie vieler Familien. Unzählige Biografien waren maßgeblich geprägt vom Kultspielzeug der Biedermeierzeit. So bescherte etwa Thomas Mann seinem Alter Ego Hanno Buddenbrook am Heiligen Abend eine große Freude: "Das Theater würde ihm gleich in die Augen springen, da war sich Hanno Buddenbrook in seiner weihnachtlichen Bescherungsvorfreude ganz gewiss" - und wurde nicht enttäuscht. Er entdeckte ein Theater von "so extremer Größe und Breite, wie er es sich vorzustellen niemals erkühnt hatte".

Vor allem Dichter und Musiker erlagen der Illusion

Es scheint, als wären es vor allem die Dichter und Musiker, Maler und Regisseure, die dem Zauber des Papiertheaters und seiner Illusion erlegen waren. So weiß etwa Norbert Neumann im Faltblatt zur Ausstellung "Knallrot, Blitzblau und Donnergrün" des Papiertheaters Invisius zu berichten, dass schon Goethe und Schiller als Knaben mit selbst gemalten Pappfiguren spielten. Franz Werfel sei "Regisseur, Sprecher und Zuschauer" seiner papierenen Bühnen gewesen, und der berühmte Opernsänger Dietrich Fischer-Dieskau zählte gerade mal fünf Jahre, als ihm ein Onkel sein erstes Papiertheater schenkte. In seinen Memoiren bekannte der Künstler: "Zwischen den Pappkulissen aus dem Neuruppiner Bilderbogen hat sich mein Schicksal geformt." Krimi-Regisseur Jürgen Roland erinnert sich: "Mit dem Figurentheater meiner Urgroßmutter hab’ ich als Sextaner Klassiker aufgeführt." Auch das Schicksal von Peter Schauerte, genannt Lüke, ist von seiner Begegnung mit dem in Deutschland seit Beginn des Ersten Weltkriegs aus der Mode gekommenen Medium geprägt. 30 Jahre ist es inzwischen her, dass in seiner Buchhandlung eine Ausstellung zum Thema Papiertheater seinem Leben eine Wendung gab. "Ich war fasziniert von diesen bunten, märchenhaften Modellen", erinnert er sich. Und so besuchte er Museen und Theater, um sich die Beschaffenheit der Pappkulissen anzusehen. Und ganz nebenbei eignete er sich alles an, um selbst ein Papiertheater bespielen zu können.

"Ich begann mit reinen Sprechstücken oder wählte Opern, bei denen ich die Musik von der Schallplatte laufen ließ", blickt der 56-Jährige zurück. Heute ist er einer von zehn "Verrückten", die in Deutschland öffentliche Vorstellungen geben und der einzige, der eine eigene Bühne nur für Papiertheater besitzt und damit die alte Tradition wieder aufleben lässt.

"Ihren Ursprung hatten die Papiertheater im frühen 18. Jahrhundert", berichtet Lüke. Damals dienten diese Miniaturmodelle den Kulissenbauern als Vorlage für die spätere Bühneneinrichtung. Mit der Zeit jedoch haben sich diese Theater im Kleinformat zum begehrten Spielzeug und zu Sammelobjekten in den bürgerlichen Familien des 19. Jahrhunderts entwickelt. Ein ganzer Gewerbezweig sei entstanden, so Lüke, der Theaterszenen zu allen gängigen Werken lieferte.

Doch erst die Erfindung der Lithografie Ende des 18. Jahrhunderts ermöglichte ein schnelles und billiges Druckverfahren und ließ das Papiertheater zum Massenmedium des 19. Jahrhunderts werden. "Weit über 50 Verlage veröffentlichten allein in Deutschland Tausende von Motiven auf Papiertheaterbogen", weiß der gelernte Buchhändler.

Vor malerischer Kulisse auf Schloß Burg in Solingen hat Peter Schauerte seine Passion zum Beruf gemacht und öffnet seit 2001 in seinem Burgtheater, das 40 Besuchern Platz bietet, regelmäßig seinen Fundus. 15 Stücke hat Lüke inzwischen im Repertoire. Seine Rollen: Sprecher, Regisseur, Dramaturg, Drahtzieher und lebendige Ergänzung der papiernen Figuren.

Ungewöhnliches hat er hier schon realisiert, den "Don Giovanni" mit zwei Sängern und einer Pianistin bringt er am 8. Dezember auf eine mit den Maßen 1,20 mal 1,10 Metern ungewöhnlich große Bühne.

Aufführungen Die Mozart-Oper "Don Giovanni" (für Kinder ab 8) hat am Samstag, 8. Dezember, um 19 Uhr in der Kemenate auf Schloß Burg Premiere. Ebenfalls im Programm: Charles Dickens "Weihnachtslied in Prosa" (ab 6).

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