Mutter hört Schreie, rettet ihr Kind aber nicht

Der Vater quält über Stunden sein Baby, am Ende stirbt der Junge. Die Mutter (27) schläft nebenan und will nichts bemerkt haben. Jetzt ist die Frau doch noch zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Mönchengladbach. Der Säugling schrie um sein Leben in jener Oktobernacht vor zwei Jahren: Der inzwischen verurteilte Vater setzte sich auf den kleinen Körper, schüttelte, quetschte, missbrauchte den nur 19 Tage alten Neugeborenen — über Stunden, bis er das Kind mit Schlägen auf die Tischkante tötete. Ein vierstündiges Martyrium, wie der Vorsitzende Richter am Landgericht Mönchengladbach Helmut Hinz gestern erneut deutlich machte. Viel Zeit für die Mutter, einzugreifen. Sie blieb liegen in ihrem Bett nebenan im Schlafzimmer. Dafür ist sie jetzt doch noch zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Das Gericht sprach die 27-jährige Mutter der Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung von Schutzbefohlenen schuldig, beides durch Unterlassen. Die Frau habe die Verletzungen des Jungen in Kauf genommen und auch mit seinem Tod rechnen müssen, stellten die Richter fest. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor über sechs Jahre Haft gefordert. Die Mutter stand nach der Ermordung ihres Sohnes durch dessen Vater zum zweiten Mal vor Gericht. Die erste Verurteilung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Misshandlung durch Unterlassen hatte der Bundesgerichtshof aufgehoben.

Die junge Frau schüttelte bei der Urteilsbegründung ungläubig den Kopf. Sie will in jener Nacht fest geschlafen und von dem Martyrium nichts mitbekommen haben. Das war auch die zentrale Frage in dem Prozess: Was hat die Mutter in jener Nacht in der Zwei-Zimmer-Wohnung mitbekommen? Ausgerechnet die Frau, die sonst jeden „Piep“ ihres Babys gehört hatte und aufgesprungen war. Verteidiger Gerd Meister sagte, die erschöpfte Mutter habe durchgeschlafen, was ja gar nicht so selten sei bei Müttern nach der Geburt. Er forderte eine Bewährungsstrafe.

„Das ist nicht vorstellbar, wenn ein Kind um sein Leben schreit“, sagte Richter Hinz: „Nach unserer Überzeugung hat sie die Schreie des Kindes im Wesentlichen gehört.“ Das Weinen seiner Kinder höre man immer. Alle Mitglieder der Kammer wüssten das aus eigener Erfahrung.

Ihre Überzeugung, alles verschlafen zu haben, gehöre wohl zur Überlebensstrategie der Mutter. „Sie wusste aus den Tagen vorher, dass ihr Mann nicht behutsam mit dem Kind umgegangen ist“, sagt der Vorsitzende Richter Hinz. Aus dem Gefühl, fünftes Rad am Wagen zu sein, habe der Vater den Jungen schon vorher misshandelt, etwa mit heißer Milch verbrüht. Der Vater ist unter anderem wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Als wichtiges Indiz gegen die Mutter werteten die Richter ihr Verhalten am Morgen danach: Als der Junge regungslos im Bettchen lag, habe sich die Frau hingesetzt und geweint. „Jemand, der nicht damit rechnet, dass sein Kind zu Tode gekommen ist, hätte ganz anders reagiert“, sagte Hinz: hysterisch, wütend, „der hätte alles versucht, zu retten, was zu retten ist“.

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