Luthers Ablassbrief - Eine Sensation, die eigentlich keine ist

Die vermeintliche Sensation ist keine — und der Reformator war auch nicht der Erwerber, sondern sein Erfurter Kloster. Forscher kennen den Brief seit 1960.

Luthers Ablassbrief - Eine Sensation, die eigentlich keine ist
Foto: Barbara Luetgebrune/LZ

Düsseldorf. Schon seit dem 3. September zeigt das im Schloss Brake beheimatete Weserrenaissance-Museum in Lemgo (Kreis Lippe) die Sonderausstellung „Mach’s Maul auf“. Sie beleuchtet Entstehung und Verlauf der Reformation im Weserraum. Für Furore sorgte Museumsdirektorin Vera Lüpkes aber erst in der vergangenen Woche: Da sprach sie im Interview mit dem „Domradio“ des Erzbistums Köln davon, im Vorfeld der Ausstellung in der spanischen Nationalbibliothek in Madrid einen Ablassbrief entdeckt zu haben, der ausgerechnet den Namen des vehementen Ablassgegners Martin Luther trägt. Die Aussage fand Resonanz bis hin zum Feuilleton der „FAZ“. Doch die vermeintliche Sensation ist keine.

„Das ist Schnee von gestern“, sagt Rudolf Benl. Bis 2013 war er Leiter des Erfurter Stadtarchivs und ist bis heute Vorsitzender des Vereins „Gesellschaft für Geschichte und Heimatkunde von Erfurt“. In dessen Jahrbuch veröffentlichte er schon 2012 den 16-seitigen Aufsatz „Ein Erfurter Beichtbrief aus dem Jahre 1508 als frühes Luther-Zeugnis“.

Aber Benl stellt klar: „Den Brief haben weder Frau Lüpkes noch ich entdeckt, sondern der Franziskaner Reynold Weijenborg.“ Dieser hatte in einem französischen Aufsatz bereits 1960 eine editierte Fassung der in Madrid aufbewahrten Abschrift des auf Latein verfassten Briefs vorgelegt. Gut 50 Jahre später edierte Benl den Brief erneut, um einige Fehler Weijenborgs zu korrigieren.

Den Beichtbrief hatte das Augustinerkloster Erfurt, dem Martin Luther von 1505 bis 1512 angehörte, am 18. April 1508 für den gesamten Konvent erworben. „In der Urkunde wird Martin Luther innerhalb der Namensreihe des damals 52 Personen zählenden Konvents an sechster Stelle genannt“, heißt es in Benls Aufsatz von 2012. Genauer steht dort Martinus Luder, wie Luther eigentlich von Geburt an hieß.

Während der zuletzt in Köln aufbewahrte Originalbrief während der Napoleonischen Zeit verloren ging, gelangte eine 1631 entstandene Abschrift des Briefs auf Umwegen nach Spanien und in die dortige Nationalbibliothek. Dass der spätere Reformator überhaupt namentlich auf einem Ablassbrief auftaucht, ist für Benl mit Blick auf das Jahr 1508 schon an sich keine Sensation: „Zu dem Zeitpunkt war Luther noch ein gläubiger Mann der römischen Kirche. Die reformatorische Wende kam erst Jahre später.“

Zudem war Luther nicht persönlich der Erwerber, sondern der Konvent in Gänze. „Zu der Zeit, da der Erfurter Konvent den Beichtbrief erwarb, zweifelte Martin Luther noch nicht an den der Ablasspraxis zugrunde liegenden theologischen Überlegungen und an der Wirksamkeit von Ablässen“, schrieb Benl schon vor fünf Jahren.

Der eigentliche Ablass, der sich auf die Sünden der Gegenwart richtete und nach einer Bußtat und ordentlichen Geldspende gewährt wurde, sei ohnehin nicht mit den Beichtbriefen erworben worden. Die vergleichsweise günstigen Beichtbriefe waren dagegen ohne Reue und Buße zu kaufen — als reines Zusatzgeschäft mit Einlösungsmöglichkeit in einer unbestimmten Zukunft. Daher meidet Benl auch den Begriff „Ablassbrief“.

In dem Radiointerview hatte Museumsdirektorin Lüpkes auch angegeben, der von ihr entdeckte Brief mit Luthers Namen sei von Ablassprediger Johann Tetzel ausgestellt worden, dem späteren großen Widersacher des Reformators. Auch diese Aussage trifft nach der Editierung Benls nicht zu. In dem Brief taucht der Name Tetzel nicht auf, sondern der damalige Ablass-Kommissar Christian Bomhower.

Dass Tetzel, wie Lüpkes erklärte, gar Ende März 1508 nach Erfurt gekommen sei und dort auch in Luthers Augustiner-Emeritenkloster gepredigt habe, hatte am Wochenende schon der Kirchenhistoriker Hartmut Kühne bestritten. Er sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur: „Tetzel war zu dieser Zeit als Vizekommissar des Livlandablasses für das Bistum Meißen zuständig und im März und April in Annaberg, eventuell noch in Chemnitz und Stollberg tätig, aber sicher nicht in Erfurt.“

Den in Madrid aufbewahrten Brief konnte Lüpkes übrigens nicht für ihre Ausstellung ausleihen. Dafür ist eine Abbildung im Katalog enthalten. Lüpkes’ Text dazu trägt den Titel: „Martin Luthers Ablass“.

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