Loveparade: Die offene Wunde

Vier Jahre danach reicht es den Opfern: Sie gehen vor Gericht. Duisburgs OB hat den Neustart im Rathaus verpasst.

Loveparade: Die offene Wunde
Foto: Martin Gerten

Duisburg. Sören Link, 38, Sozialdemokrat, schläft nach eigenem Bekunden manchmal schlecht. Anfang Juli sagte der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg als Ergebnis einer durchwachten Nacht eine Installation des international gefeierten Mönchengladbacher Künstlers Gregor Schneider mit dem Namen „Totlast“ ab und erklärte wenige Wochen vor dem vierten Jahrestag der Loveparade: „Duisburg ist noch nicht reif für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind.“

Loveparade: Die offene Wunde
Foto: dpa

Der Vorfall zeigt, dass vor allem die Duisburger Stadtspitze vier Jahre danach nicht reif ist, zu einer angemessenen Aufarbeitung der Katastrophe in den eigenen Reihen zu finden. Sören Link (Foto), Verwaltungsfachwirt, zeitweise Landtagsabgeordneter, kam im Sommer 2012 ins Amt, nachdem die Duisburger Adolf Sauerland (CDU) per Bürgerentscheid als Sündenbock aus dem Amt gejagt hatten.

Auf Link ruhten viele inzwischen enttäuschte Hoffnungen; einen Neustart hat der Oberbürgermeister verpasst. So sind bis heute in der Bauverwaltung des Duisburger Rathauses Mitarbeiter beschäftigt, die für die städtische Planung und Bauaufsicht der Loveparade verantwortlich waren.

Gegen sechs städtische Bedienstete und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent hat die Staatsanwaltschaft im Februar nach jahrelanger Ermittlung Anklage erhoben. Der Tatvorwurf lautet auf fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung im Amt. Wann der Prozess beginnt, ist weiter offen. Trotz des Drängens und Bittens von Betroffenen und Hinterbliebenen der Loveparade-Opfer weigerte sich Link wie schon sein Vorgänger Sauerland, die beschuldigten Mitarbeiter aus dem Bauordnungsbereich wenigstens in andere Ämter zu versetzen.

Und damit schließt sich ein Kreis: Über die Schreibtische dieser Mitarbeiter hätte die städtische Genehmigung für Schneiders Kunstwerk „Totlast“ gehen müssen. Als Link dämmerte, dass die missglückte Kunst-Zensur viel über die nicht bewältigte Vergangenheit im Duisburger Rathaus aussagt, schob er eine baurechtliche Begründung für die Absage nach.

In der öffentlichen Diskussion sprangen Link reflexartig vier Duisburger SPD-Landtagsabgeordnete — Sarah Philipp, Rainer Bischoff, Frank Börner und Ralf Jäger — mit einer Presseerklärung bei, in der sie dem Intendanten der Ruhrtriennale vorwarfen, die „Duisburger Befindlichkeiten und Sensibilitäten“ nicht zu kennen. Die Pressemitteilung wurde schnell zurückzogen. Aber sie wird ein Nachspiel haben. Denn dass der Abgeordnete und Duisburger SPD-Vorsitzende Jäger zugleich NRW-Innenminister ist, macht die Sache pikant.

Bis heute musste Jäger, der bei der Loveparade 2010 erst wenige Wochen im Amt war, seine Rolle am Rand der Katastrophe nicht erklären. Doch das könnte sich ändern. TV-Bilder zeigen Ralf Jäger am Tag der Loveparade ab 16.47 Uhr — da hatte das Sterben bereits begonnen — als Zuhörer eines Interviews mit dem Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller. Von dort soll Jäger, offenbar ohne Information über die Katastrophe, zu einer privaten Geburtstagsfeier gefahren sein. Nach 18 Uhr tauchte Jäger wieder vor den Kameras auf und erklärte sinngemäß, die Polizei habe alles richtig gemacht.

Die Bochumer Anwältin Bärbel Schönhof hat jetzt 30 private Schadenersatz-Klagen von Loveparade-Opfern gegen die Stadt Duisburg, Rainer Schaller, seine Firma Lopavent und das Land NRW als Dienstherrn der Polizei auf den Weg gebracht. Schönhof will Jäger als Zeugen hören. Die Opfer wollen nicht weiter auf den Strafprozess warten, und sie sind es leid, dass statt denen, die die Hauptverantwortlichen für die Loveparade waren, nur „kleine Fische“ für die Katastrophe zur Verantwortung gezogen werden sollen. Besser schlafen wird Sören Link von all dem nicht.

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