London vor den Olympischen Spielen: Goldmedaille fürs Meckern

Statt Vorfreude auf die Olympischen Spiele herrscht in London Nervosität und Frust. Die Hauptstädter haben Angst vor einem Verkehrskollaps.

London. Euphorie ist zwar keine Disziplin, in denen die Briten Weltmeister werden wollen — oder könnten. Doch vor dem Auftakt der Olympischen Spiele ist die Vorfreude auf das Spektakel so gering und die Kritik an der Planung so groß, dass London sich locker für die Goldmedaille im Meckern qualifiziert hat. Dabei läuft an der Themse (fast) alles nach Plan.

Wer sich bei Londonern umhört, bekommt den Eindruck, dass die Stadt im Sommer Epizentrum eines schrecklichen Erdbebens wird und nicht etwa Austragungsort eines fabelhaften Sportspektakels. Statt Vorfreude herrscht in der Acht-Millionen-Metropole Nervosität und Frust. Die ohnehin gestressten Hauptstädter fürchten, dass London der Zerreißprobe Olympia nicht gewachsen ist, ja, dass ihnen das Mega-Ereignis mehr Schaden als Nutzen bringt.

Größte Sorge ist der mögliche Verkehrskollaps. Schon in der regulären Rush Hour macht die Londoner U-Bahn regelmäßig schlapp. Offizielle Beschwichtigungen bestätigen alle Befürchtungen: Londoner mögen während der Spiele einfach ein Feierabend-Bier trinken gehen, richtete ihnen etwa Nahverkehrschef Peter Hendy aus, auf diese Weise entlaste man die U-Bahnen zu Stoßzeiten. Direkter hätte man kaum einräumen können, dass die mehr als 100 Jahre alte „Tube“ dem Ansturm von täglich 600 000 zusätzlichen Passagieren nicht gewachsen ist. Firmen in der Innenstadt sind bereits dazu aufgerufen, ihre Mitarbeiter von zu Hause arbeiten zu lassen.

Während die Großstädter die Last der Spiele schultern, sind die meisten von ihnen bei der Ticket-Lotterie leer ausgegangen. Alle dürfen das Spektakel über Steuern finanzieren, live dabei sein nur die wenigsten. Zu ihrem Verdruss sind die Kosten explodiert. Das Budget — bei der Bewerbung einst mit 2,8 Milliarden Euro veranschlagt — ist durch erhöhten Sicherheitsbedarf mittlerweile auf 11,1 Milliarden Euro geklettert. Wegen der Terrorgefahr rüstet die Stadt sich mit Abwehrraketen, einem Kriegsschiff und zusätzlich zur Polizei mit 13 000 Soldaten — 4000 mehr als zurzeit in Afghanistan stationiert sind.

Bittere Kritik kommt ausgerechnet aus dem East End, wo die Spiele stattfinden. Mit der Dynamik des Viertels, seinem eklektischen Mix aus Zuwanderern, Künstlern und Malochern hatte die Stadt die Jury 2005 überzeugt. Der Zuschlag für die Spiele sollte dringend benötigte Investitionen und Jobs in den Osten bringen. Viele Bezirke gehören hier zu den ärmsten im Königreich. Doch die Hoffnungen realisieren sich nicht wie gedacht. „Olympia 2012 ist eine Riesenenttäuschung“, kritisiert etwa Diane Abbott, Abgeordnete für Hackney. Von 44 000 Arbeitern auf Europas größter Baustelle kam nur jeder Zehnte aus dem East End.

Abbotts Kritik wirft einen hässlichen Schatten über die ansonsten überragende Leistungsbilanz des Mega-Projektes. Auf einem Drittel der Fläche sind in Rekordgeschwindigkeit vergiftete Kanäle saniert, S-Bahn-Strecken, U-Bahnhöfe und ein riesiges Einkaufszentrum lange vor der Zeit fertiggestellt worden. Bis vor drei Jahren war das Gebiet des Olympischen Parks eine unwirtliche Brache; heute ragen hier bereits sämtliche Spielstätten und zehntausende neue Wohnungen in den Himmel.

Nach den Sommerspielen sollen sie der örtlichen Bevölkerung zugute kommen. Bis dahin wird es allerdings noch viele Wehklagen geben.

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