Konfliktforscher Peter Sitzer: „Ungeheurer Hass und unglaubliche Wut“

Der Bielefelder Konfliktforscher Peter Sitzer über Motive von Schul-Amokläufern.

Bielefeld. Bevor Jugendliche zu Tätern werden, senden sie oft Signale aus. Diese könnten erkannt werden, sagt der Konfliktforscher Peter Sitzer (Foto), Autor einer Studie über Schul-Amokläufe.

Herr Sitzer, was sind „School Shootings“, wie häufig sind sie?

Peter Sitzer: School Shootings sind schon ein ganz spezielles, eigenständiges Phänomen. Seit den 1950er Jahren gab es weltweit 125 derartige Ereignisse. Ähnliche Fälle gab es vor allem nach dem Massaker an der Columbine High School 1999 in Littleton. Die Täter hatten vor der Tat sehr viel Material veröffentlicht.

Das heißt, es gab Nachahmer?

Sitzer: Der Attentäter von Emsdetten im Jahr 2006 etwa war ein großer Fan eines der beiden Täter von Littleton. In seinem Tagebuch bezeichnet er ihn als Gott. Es hat da eine sehr starke Identifikation gegeben. Das findet man seit Littleton immer wieder, weltweit bei rund 20 Attentätern.

Was treibt die jungen Leute?

Sitzer: Die Idee, die von den Forschern diskutiert wird, ist, dass die Tat von den Betroffenen als eine Möglichkeit gesehen wird, mit Problemen im Leben umzugehen. Die Täter sind vorher oft Opfer von Mobbing geworden, sehen sich als ausgestoßene Schüler, die niemand mag. Bei ihnen hat sich ungeheuerer Hass und unglaubliche Wut aufgestaut. Es sind letztlich Racheakte.

Warum wählen viele junge Amokläufer ausgerechnet Schulen als Tatort aus?

Sitzer: Die Gründe für solche Amokläufe liegen nicht nur in der Schule, aber die Täter selbst sehen dort die Ursachen ihres Leidens. In der Schule wird die Außenseiterrolle besonders deutlich. Dort wird besonders klar, an welcher Stelle der Gruppe ich stehe.

Was geht in den Menschen vor?

Sitzer: Die Täter empfinden ihre Situation als Kontrollverlust. In ihrer Fantasie, in die sie sich immer tiefer flüchten, leben sie Überlegenheit aus und gewinnen die Kontrolle zurück: Sie stellen sich vor, wie sie sich mit so einem Amoklauf rächen. Irgendwann reichen diese Fantasien vielleicht nicht mehr und es kommt zu sogenannten Teilumsetzungen.

Das heißt?

Sitzer: Sie schreiben eine Todesliste, zeigen die vielleicht sogar jemandem, zeichnen Bilder, auf denen Lehrer im Mündungsfeuer stehen. Sie recherchieren solche Selbstdarstellungen anderer Täter und besorgen sich vielleicht schon Waffen. Vor der Tat kommt es dann meist zu einem Auslöser: Eine besondere Demütigung; ein nahestehender Mensch stirbt. dpa

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