Kinderbetreuung: Wo Erziehung Männersache ist

Männer sind rar im Alltag der Kindertagesstätten. An der Daimlerstraße in Düsseldorf ist das anders.

Düsseldorf. Noemi wächst ohne Vater auf. Ihre kleine Welt ist von Frauen geprägt, zumindest noch. Bald wird sich der Horizont weiten. Denn Noemi kommt in die Kita. Dass mit Nikolaus Jacobi einer der wenigen Männer im Kita-Team die künftige Gruppe ihrer Tochter leitet, sieht die Mutter als Chance: Die Zweieinhalbjährige wird in ihm für die kommenden Jahre eine männliche Bezugsperson mehr haben.

„Der Löwenanteil der Kinder erlebt Männer erst nach der Grundschule“, sagt Norbert Wolf, Leiter des evangelischen Familienzentrums der Diakonie an der Daimlerstraße in Düsseldorf. In der Einrichtung sind gleich drei Vertreter seines Geschlechts beschäftigt, sie stellen damit ein Drittel des pädagogischen Personals. Das ist spitze angesichts der bundesweiten Zahlen: Nur drei Prozent der derzeit knapp 470 000 hauptberuflichen Mitarbeiter in der Kinderbetreuung sind männlich.

Seit 2011 sind mehr als 13 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds in 1300 Modellprojekte geflossen, damit „kleine Jungen und Mädchen in der Betreuung und Erziehung Männer genauso wie Frauen erleben“, sagt Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Erfolge allerdings kommen nur in Trippelschritten daher.

Die Erzieher an der Daimlerstraße waren lange vor derartigen Förderprogrammen im Beruf. Nicht nur alleinerziehende Mütter wissen das zu schätzen. „Ob der Schichtarbeit oder der Karriere geschuldet: Väter sind acht bis zehn Stunden weg von zuhause“, rechnet Wolf vor. „Männer sind im Alltag der Kinder unterrepräsentiert.“

Das ist ein Verlust. „Denn Männer sind risikofreudiger im Umgang mit Kindern.“ Sie machten andere Sachen — Wolf denkt etwa an den Bau eines Lehmofens. „Oder auch mal was Verrücktes“, ist die Erfahrung seines Kollegen Thomas Jung. „Vor allem Jungs genießen das.“

Im Kita-Alltag an der Daimlerstraße gibt es unter den Mitarbeitern keine geschlechtsspezifischen Aufgabenzuschreibungen. Mit den Eltern ist das besprochen. Jeder und jede spielt, hört zu, tröstet, motiviert, erklärt — und wickelt selbstverständlich, denn das jüngste der 57 Kinder ist noch kein halbes Jahr alt.

„Der Beruf ist gesucht, wir wollen mehr öffentliche Kinderbetreuung“, positionierte sich kürzlich die Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses, Sibylle Laurischk (FDP). Warum macht sich Mann dann so rar? „Die finanzielle Entlohnung steht in krassem Gegensatz zur Diskussion darüber, wie wichtig Bildung ist.“ Als Alleinverdiener, so Norbert Wolf, könne er seine vierköpfige Familie kaum ernähren. Seine Frau arbeitet mit.

Hinzu komme die mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung. „Ein Erzieher, ist das überhaupt ein kompletter Mann? Oder ein Weichei?“ Solchen Fragen sehe er sich — unausgesprochen — ausgesetzt. „Da genießt ein Altenpfleger mehr Ansehen.“ Dabei ist die Verantwortung groß: „Schließlich sollen wir, bis das Kind in die Schule kommt, einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass es im Leben bestehen kann.“

Als Schlüsselqualifikation für den Beruf nennt er Empathie, die Fähigkeit, „sich einfühlen zu können“. Belastbarkeit und Teamfähigkeit ergänzen seine Kollegen. Was die drei seit 16, 18 beziehungsweise 25 Jahren — teils lange Strecken allein unter Frauen — im Job hält? „Ich weiß einfach, dass ich hierher gehöre. Es macht Spaß, die Kinder wachsen zu sehen“, sagt Norbert Wolf. Jacobi und Jung nicken. Von einer Männerquote halten sie übrigens nichts. „Da muss die Evolution das Ihre tun“, meint Wolf.

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