Junge Flüchtlinge: Auf sich gestellt in einer fremden Welt

Sie sind jung, als Jugendliche nach Deutschland geflohen und inzwischen 18. Damit endet die Vormundschaft für junge Flüchtlinge, aber nicht ihr Bedürfnis nach Unterstützung.

Junge Flüchtlinge: Auf sich gestellt in einer fremden Welt
Foto: Arbeiterwohlfahrt

Düsseldorf. Yourzarsif kann nicht schwimmen. Es ist möglich, damit durchs Leben kommen. Aber kaum über das Mittelmeer. Yourzarsif wäre auf seiner Flucht von Mali über Libyen in Richtung Italien ertrunken, hätte ihn sein großer, starker Bruder nicht aus dem Wasser gehoben, dem rettenden Boot entgegen. Dafür gehört der Bruder jetzt zu den Tausenden Toten, die das Meer verschlungen hat. Yourzarsif kann das nicht vergessen.

Ein Jahr und drei Monate ist der junge Afrikaner jetzt in Deutschland. Als er gekommen ist, war er noch minderjährig, inzwischen ist er 18. Eine Zeit hat er in Düsseldorf in einer der Wohngruppen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelebt, mittlerweile wohnt er in einem eigenen Apartment. Und er hat einen Traum: Berufskraftfahrer zu werden. Den Traum hatte auch sein Bruder, der ertrunken ist. Ihm fühlt sich Yourzarsif verpflichtet. Und den zwei kleinen Brüdern, die bei Verwandten in Guinea ausharren. Wenn er auf Fotos sieht, wie sie unter Hunger leiden, bricht es ihm das Herz.

Yourzarsif ist nur einer von vielen, die als Jugendliche allein nach Deutschland kamen und jetzt volljährig sind. Die Betreuung durch einen Vormund endet dann. Aber ihr Bedürfnis nach Unterstützung nicht. Die Awo hat ihr Programm „Vertrauenssache“ dafür schon verändert. Ursprünglich sollte es ehrenamtliche Vormünder für jugendliche Flüchtlinge gewinnen. Inzwischen bemüht es sich, Mentoren für junge Erwachsene zu finden. Aber einfach wird das nicht. „Die Stimmung hat sich gewandelt“, sagt Projektkoordinatorin Heidi Tilly. Und diese gewandelte Stimmung richtet sich vor allem gegen junge, männliche Flüchtlinge.

Auch Josef (19) hat das Mittelmeer auf einem kleinen Boot überquert. Da hatte er die syrisch-türkische Grenze schon hinter sich. Immer wieder, erzählt er, werde dort auch auf Flüchtlinge geschossen. Man rennt um sein Leben.

Jetzt kämpft der Syrer um seine Zukunft. Dieses Jahr will er am Berufskolleg die 9. Klasse schaffen, dann die 10. Klasse, dann den Realschulabschluss nach Klasse 10. Denn Josef will Erzieher werden. Die wichtigste Frage, die ihn bewegt: „Darf ich in Deutschland bleiben?“ Seine Aufenthaltsgenehmigung als subsidiär Geschützter gilt für ein Jahr. Zu wenig Zeit für all seine Pläne.

Ungewissheit begleitet die meisten. Yourzarsif, dessen Vater von Islamisten ermordet wurde, wartet noch auf den Bescheid zu seinem Asylantrag. „Ich habe Angst in meinem Herzen“, sagt er. Und Mojibs Antrag ist inzwischen abgelehnt worden. Der 18-Jährige, in Afghanistan geboren und vor drei Jahren mit seinem kleinen Bruder vom Iran bis nach Europa geflohen, hat inzwischen den Hauptschulabschluss geschafft und macht eine Ausbildung als Automechaniker. Aber seine Duldung endet vorerst im August.

Für eine verlässliche Ausbildungsduldung muss Mojib einen Identitätsnachweis vorlegen. „Aber es ist ganz schwierig, eine afghanische Geburtsurkunde zu bekommen“, sagt Heidi Tilly. Für sie sind die geschilderten Schicksale Beispiele dafür, wie schwer es den Flüchtlingen oft gemacht wird, Fuß zu fassen. „Das sind junge Menschen, die wollen, aber sie bekommen den Kopf nicht frei fürs Lernen, weil sie immer mit der Aufenthaltsbestätigung befasst sind.“

Und es sind Beispiele dafür, wie wichtig eine Betreuung weiterhin ist, wenn die Flüchtlinge volljährig geworden sind. „Deutschland ist sehr kompliziert, jeden Tag ein paar Tausend Dokumente“, sagt Yourzarsif in schon erstaunlich gutem Deutsch. Und die Überforderung steht ihm dabei ins Gesicht geschrieben.

„Die meisten, die 2015 als Jugendliche gekommen sind, brauchen nach wie vor Unterstützung: bei den Hausaufgaben, wenn sie Post bekommen oder bei Behördenterminen“, sagt Projektleiterin Tilly. Von einer ersten Informationsveranstaltung am kommenden Donnerstag erhofft sie sich, Freiwillige überzeugen zu können, sich als Mentoren zur Verfügung zu stellen.

Wenn da nicht diese Vorbehalte wären. Yourzarsif sind sie noch nicht oft begegnet, aber einmal schon. Da hat er bei einer Straßenbaufirma ein Praktikum gemacht. Einem Kollegen hat das nicht gepasst: Er hat seine Wut, seinen Frust und seine Vorurteile über die Flüchtlinge bei ihm abgeladen. Bis zu dem Moment, als ihm Yourzarsif seine Geschichte erzählt hat. „Am Schluss war er mein Freund.“

Der junge Mann aus dem Westen Afrikas ist zielstrebig. Aber er weiß auch: Ohne eine längere Aufenthaltsgenehmigung wird die Firma, die ihm eine Ausbildung in Aussicht gestellt hat, den Lkw-Führerschein nicht finanzieren. Darum wird er einen Umweg nehmen und erst einmal bei Umzügen mit anpacken. Den Traum Berufskraftfahrer wird er trotzdem nicht aus den Augen verlieren. Das ist er seinem Bruder schuldig.

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