Jugendhilfe: Nestwärme ist besser als Drill

Der Landschaftsverband Rheinland bietet Alternativen zu Erziehungscamps.

<strong>Solingen/Krefeld/Viersen. Wenn Leon, Marvin, Markus und Mariza aus der Schule kommen, sehen sie zuerst nach ihren Lieblingen. Kuschelt Pony Duko wieder mit Ziege Heidi? Versucht Moses, der Esel, wieder an den Fingern zu knabbern, wenn man ihn streichelt? Und liegen Chip und Chap, die beiden bunten Maikatzen, mal wieder da, wo sie am liebsten liegen: im Wäscheschrank? Umgeben von Feldern und Äckern, fernab von den Metropolen, aus denen sie stammen, leben die drei sieben Jahre alten Jungen und das zwölfjährige Mädchen auf der "Kinder- und Jugendfarm" in Viersen. Ihre Familien kommen auf Besuch. Aber sie bleiben nicht. Denn die "Ferien auf dem Bauernhof" sind Therapie. Gut 25 Kilometer weiter östlich, in Krefeld, behaut der 19-jährige Sami einen dicken Akazienblock. Seit einem halben Jahr arbeitet der aus Griechenland stammende Krefelder in den "Werkstätten Fichtenhain". Ebenso wie der gleichaltrige Michael, hätte auch Sami woanders keine Ausbildung bekommen. Michael hat vorher die Schule geschwänzt, Sami kam vom Arbeitsamt. Ansprechpartner für Sami, Michael und die anderen, die hier die Berufe des Holzbearbeiters oder Schreiners erlernen, ist Heinrich Neuhofs. Der 55-Jährige ist Tischlermeister und Erzieher - in einer Person, seit 35 Jahren.

Wohngruppe ist die letzte Chance für kriminelle Jugendliche

Hussein (Name geändert) hat sich mal wieder in sein Zimmer zurückgezogen. Ein spartanischer Raum, dem nur Poster von Rappern und Fotos von Vater und Bruder eine vage persönliche Note verleihen. Der grüne Teppich hat schon viele Bewohner gesehen. Im Schnitt blieben sie 93 Tage. Wie Hussein, der 16-Jährige Duisburger, dessen Familie aus dem Libanon stammt, haben sie geprügelt, erpresst und geklaut. Derzeit leben in der Wohngruppe zur Vermeidung von U-Haft sechs männliche Jugendliche zwischen 15 und 17 aus vier Nationen. Die Wohngruppe heißt "Die Chance". Es ist ihre vorerst letzte. Einrichtungen wie die Kinder- und Jugendfarm, Fichtenhain und das "Rheinische Jugendheim Halfeshof" in Solingen kümmern sich um Kinder und Jugendliche in Krisensituationen. Die individuellen Hilfsformen betreffen Fünfjährige, deren allein erziehende Mütter überfordert sind, misshandelte, vernachlässigte oder missbrauchte Schulkinder, Kinder, die als hyperaktiv oder sozial auffällig gelten. Psychiatrieerfahrene 13-Jährige, 15-jährige Dauer-Schulschwänzer, drogensüchtige Schüler. Und die, die bereits mehrfach kriminell geworden sind. "Die Chance" gibt es in Solingen seit Juni 2006. Sie ist eine der jüngsten Gruppen in der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR).

Die Rheinische Jugendhilfe distanziert sich deutlich von Forderungen nach Erziehungscamps und Strafverschärfung für jugendliche Intensivtäter. Statt Brechen des Willens: Diagnostik und Klärung der eigenen Situation, Förderung sozialer Kompetenzen, Entwicklung schulischer Perspektiven und Auseinandersetzung mit den Folgen einer Straftat.

Einrichtungen Im Rheinland gibt es insgesamt 430 Einrichtungen, in denen Jugendliche betreut werden. Insgesamt bieten sie 19200 Plätze. Betreut werden sie von 12 500 Mitarbeitern verschiedener Träger wie Diakonie und Caritas.

Standorte Die Jugendhilfe Rheinland (LVR) betreibt fünf Jugendhilfeeinrichtungen an fünf Standorten (Solingen, Krefeld, Remscheid, Euskirchen und Viersen). In ihren rund 50 individualpädagogischen Gruppen sind 340 Kinder und Jugendliche untergebracht.

Betreuung Von den etwa 500 Jugendlichen, gegen die pro Jahr Tatvorwürfe wie Raub, räuberische Erpressung, schwerer Diebstahl oder Körperverletzung erhoben werden, und denen eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr droht, werden derzeit 30 pro Jahr von Einrichtungen der Jugendhilfe betreut.

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