Gewalt durch Lehrer: Alptraum im Klassenzimmer

Der Verein „Kinder in Schulnot“ bietet Schülern Hilfe, vermittelt und schaltet notfalls die Justiz ein.

Hürth. Peter hat einen wahren Alptraum im Klassenzimmer hinter sich. Als Strafe für falsche Antworten und unruhiges Verhalten schikanierte ihn eine Lehrerin über anderthalb Jahre hinweg, ließ ihn Kniebeugen vor der Klasse machen, trat ihm in den Po, griff ihm schmerzhaft unters Schlüsselbein. Als sie sein Gesicht mit einem nassen Tafelschwamm abrieb, musste sich der Gesamtschüler übergeben. Peter, ein anstrengendes Kind, habe sich für mitschuldig gehalten und deshalb lange nicht seinen Eltern anvertraut, schildert Mutter Anja. "Die Lehrerin hat im Gespräch nichts geleugnet, aber alles nur als Scherz bezeichnet." Nach einer Verschnaufpause drangsalierte sie den Zwölfjährigen weiter. Nach wechselhaft apathisch-aggressivem Verhalten, Schlafstörungen und Durchfall kollabierte der Junge.

"Mein Aktenschrank ist voller Fälle über Lehrer, die schubsen, kneifen, beleidigen", sagt die Juristin und Pädagogin Catrin Lange. In Hürth bei Köln gründete sie vor einem Jahr den Verein Kinder in Schulnot (Kischuno). Diesem können Betroffene ihr Schulproblem schildern und um Hilfe und Vermittlung bitten. "Es werden häufig Wiederholungstaten gemeldet", sagt Lange, die jede Meldung gründlich prüft. "In fast 100 Fällen echter Lehrergewalt haben wir interveniert."

Es ging beispielsweise um einen Pädagogen, der einen Schüler kopfüber aus dem Fenster hängen ließ, um sexuellen Missbrauch oder demütigende Sprüche wie: "Du bist so unglaublich blöde, warum hat deine Mutter dich nicht abgetrieben." Schlimm sei es für Schüler auch, wenn ihnen niemand glaube. "Das ist eine doppelte Strafe." Eltern trauten sich oft nicht einzuschreiten, weil sie Nachteile für ihre Kinder befürchten. Schulleitern gehe es häufig nur um den Ruf der Einrichtung, so dass sie abblockten. "Die meisten Fälle enden damit, dass die Eltern ihre Kinder entnervt von der Schule nehmen."

Der Verein will, wenn die Kooperation verweigert wird, aber durchaus auch gegen Schulleitung und Schulaufsicht vorgehen. Auf der Internetseite von Kischuno heißt es kompromisslos: "Sollte die Bezirksregierung in Fällen von strafrechtlich relevanter Lehrergewalt nicht innerhalb von vier Wochen ihren Vorschriften und Richtlinien entsprechend reagieren, so ergeht gegen sie in Absprache mit den Eltern Strafanzeige wegen Strafvereitelung."

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) zeigt sich "schockiert und entsetzt" über wiederholte Gewalt und Demütigung wie in Peters Fall. "Bei solchen Entgleisungen kann man nur sagen, dass manche Lehrer ihren Beruf verfehlt haben", sagt Heinz Wagner, Leiter der Abteilung Schulpolitik im VBE-Bundesverband. Unter bundesweit 800 000 Pädagogen gebe es auch schwarze Schafe. Bei einzelnen Fällen von Fehlverhalten seitens der Lehrer müsse "offen und ohne Vertuschung" im Schulgremium eine schnelle, unbürokratische" Lösung gesucht werden, unter Einbeziehung von Vertrauenslehrern und -schülern. "Bei Straftatbeständen ist aber klar: Das kann die Schule nicht lösen."

"Würde, Mündigkeit und Gewaltfreiheit sind unsere Ziele - und wenn jemand beweisen muss, dass das geht, dann sind es wir Lehrer", betont der frühere Schulleiter. "Das Problem ist, dass wir in der Schule nicht die Gewaltenteilung haben, die wir sonst in der Gesellschaft haben." Lehrer seien Provokationen, verbalen Attacken oder Sexismus von Schülerseite ausgesetzt. "Man steht unter Stress, reagiert hochemotional, fühlt sich als Lehrer vor der Klasse vielleicht ohnmächtig", beschreibt der Experte. Dennoch dürfe ein Schüler-Fehlverhalten nicht "je nach Lehrer-Sensibilität unterschiedlich beurteilt und bestraft" werden. Ein schlagender Lehrer müsse seinen Missgriff eingestehen, einen Ausweg mit dem Kollegium suchen, sich entschuldigen.

Auch Mediatorin Lange weiß: "Lehrer sind ja keine Sadisten, sie machen das nicht aus Spaß, sondern aus Hilflosigkeit. Sie haben heute viel mit Kindern zu tun, die gestört sind, darauf sind sie von ihrer Ausbildung her nicht vorbereitet." Dennoch dürfe Lehrer-Gewalt nicht tabuisiert werden. Erst kürzlich war in Sachsen-Anhalt eine Lehrerin suspendiert worden, weil sie Grundschülern den Mund mit Klebeband zugebunden hatte. Ein Bonner Sportlehrer wurde zu einer Strafe wegen sexuellen Missbrauchs eines Schülers verurteilt. Die Initiative Lernen ohne Angst (LOA/Berlin) listet über hundert Fälle aus den vergangenen Jahren auf - Strafanzeigen, Bewährungs- oder Gefängnisstrafen gegen Pädagogen.

In Peters Fall reagierte die Schulleitung vorbildlich, schaltete einen Sozialpädagogen ein, der Gespräche mit den Beteiligten führte. Mit der Klasse wurde ein Stufenplan erarbeitet und umgesetzt, die Lehrerin steht unter Beobachtung. "Der Pädagoge geht bis heute in den Unterricht der Lehrerin, ihr Verhalten hat sich deutlich gebessert, mein Sohn wirkt inzwischen wie gelöst", sagt Mutter Anja. "Wir haben keinen Frieden, aber Waffenstillstand."

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