Frühchen: Geboren, nur um zu sterben?

In Köln klagt eine Frau, weil ihr extrem früh geborenes Mädchen medizinisch unversorgt blieb und in der Klinik verstarb.

Köln/Düsseldorf. „Das Kind hat keine Überlebenschance. Sie müssen sich verabschieden.“ Immer wieder, so sagt Melanie Lang, hätten Oberarzt und Hebamme auf sie und den Vater des Kindes eingeredet, das da offenbar zum Sterben verurteilt war. Die Mutter des 460 Gramm leichten Frühchens, mit dem sie nach den Berechnungen in der 23. Woche schwanger war, sagt, man habe sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine knappe Stunde später war das Mädchen in den Armen der Mutter gestorben. Das war vor viereinhalb Jahren. Wegen der unterbliebenen Versorgung möchte die heute 40-Jährige nun 12 000 Euro Schadensersatz von dem Arzt, der Hebamme und der Kölner Klinik. Vor allem aber will sie, dass die Frage der Verantwortlichkeit aufgeklärt wird. Erst später habe sie nämlich erfahren, dass in anderen Kliniken die ärztliche Entscheidung womöglich anders ausgefallen wäre. Hätte der Arzt handeln müssen? Das muss das Landgericht Köln nun klären. Ein Urteil ist erst im kommenden Jahr zu erwarten.

Normalerweise dauert eine Schwangerschaft zwischen 37 und 40 Wochen. Jährlich kommen in Deutschland etwa 8000 Kinder vor der 30 Schwangerschaftswoche auf die Welt. Was müssen, was können Ärzte in solchen Fällen tun?

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gibt ihnen diese unter Mitwirkung von Ärzten, Juristen und Moraltheologen erstellte Richtlinie an die Hand: Bei Frühgeborenen ab 24 Schwangerschaftswochen soll grundsätzlich versucht werden, das Leben zu erhalten. Bei Frühgeborenen ab 22 Schwangerschaftswochen sollte die Entscheidung über eine lebenserhaltende Therapie im Konsens mit den Eltern getroffen werden.

Experten schätzen, dass es in Deutschland jährlich etwa 100 Fälle dieser Art gibt. Und dass trotz Therapieversuchen weniger als 50 Prozent dieser Frühchen überleben. Für die Überlebenden gibt es große Risiken für lebenslange schwere Behinderungen. Professor Thomas Höhn, Oberarzt an der Neonatologie (Neugeborene) der Uniklinik Düsseldorf erklärt: „Weil die Gefäße so zerbrechlich sind, kommt es leicht zur Hirnblutung.“ Die Folgen seien geistige und motorische Behinderungen. An der Uniklinik Düsseldorf gebe es jährlich etwa fünf Fälle solcher extrem Frühgeborener. „Viel häufiger gelingt es uns, diese Frühgeburten zu verhindern, so dass das Kind länger im Mutterleib bleibt.“

Kommt es aber doch zur extremen Frühgeburt — wer entscheidet dann? Es komme auf den elterlichen Willen an, sagt Höhn. Sie entscheiden, ob sie dann eine Behandlung des Kindes wünschen. Er erlebe aber „praktisch keine Konflikte“, wenn es darum geht, dem elterlichen Wunsch in die eine oder andere Richtung zu entsprechen. Diese würden ausführlich über die Folgen ihrer Entscheidung aufgeklärt.

Nun steht in den DGGG-Leitlinien auch: „Ist zu erkennen, dass ein Kind sterben wird, soll es begleitet werden, dies möglichst in Anwesenheit der Eltern, die unterstützt werden sollen.“ Was das heißt, erklärt Höhn so: „Eltern sollten, auch wenn die Entscheidung für das Nicht-Behandeln gefallen ist, das Kind sehen. Sie sollen es auf den Arm nehmen, wenigstens für diese kurze Zeit die körperliche Nähe fühlen.“ Wenn gewünscht, werde dem Kind ein Opiat gegeben, um alle Bedenken der Eltern über ein zu großes Leiden zu zerstreuen.

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