Flucht: Stille Nacht in Shanghai

Nils Bellmann verzichtet bewusst auf die Familienidylle.

Wuppertal. Heiligabend bei Mutti: Pünktlich zu Weihnachten leeren sich die Universitätsstädte. Unterm Christbaum zwischen Geschenken und Gänsebraten feiern die Studenten mit ihren Lieben - traute Familienidylle.

Da macht Nils Bellmann nicht mit. "Ich bin ein Weihnachtsflüchtling", sagt der 26-Jährige, der Germanistik und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Bloß weit weg. Dahin, wo fast jedem das Christkind fremd ist: ins Reich der Mitte, nach China.

An Heiligabend, wird er nicht mit seiner Familie Weihnachtslieder singen, sondern mutterseelenallein im Hotelzimmer in Shanghai den Jetlag nach etwa 16 Stunden Flug ausschlafen. Und das, wo Weihnachten und Einsamkeit doch so gar nicht zusammenpassen.

Daheim im Wohnzimmer sitzt währenddessen die Familie: Vater Hajo, Mutter Angelika und Schwester Nina am großen runden Tisch, der schon viele Weihnachten erlebt hat, und versuchen, mit Rotbarschfilet, Mohnklößchen an Backobst und anderen Köstlichkeiten die Feierlichkeit, die zum Heiligabend gehört, aufkommen zu lassen.

Fast 10 000 Kilometer entfernt, probiert Nils Bellmann gegrillten Oktopus an Soja-Soße, Krabben mit Seegurken und in Bambus-Blätter eingewickelte Reisklöße. Am ersten Weihnachtstag, wird er dann seinen guten Freund Shafagh Nosrati, der derzeit an der Tongji-Universität Musik studiert, wiedersehen. Apropos Musik - diese Leidenschaft ist es auch, die die Freunde zusammenbrachte: Sie sind exzellente Pianisten.

Neben Chinas Sehenswürdigkeiten wie der Platz des Himmlischen Friedens und die chinesische Mauer ist ein Uni-Konzert der Studenten ein Glanzpunkt der Reise. Europäische Kunstmusik von Chopin und Schumann steht auf dem Programm.

Allerdings: "Schade, dass ich das deutsche Weihnachtsessen verpasse", sagt er. Dafür aber hat Mutter Angelika schon die Lösung parat: Sie friert ihrem Sohn eine Portion ein.

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