Lebenshilfe Ein Gesetz, das den Blick auf Behinderte verändern wird

Stefan Pauls, Geschäftsführer der Wuppertaler Lebenshilfe, beurteilt Teile des geplanten Bundesteilhabegesetzes kritisch.

Lebenshilfe: Ein Gesetz, das den Blick auf Behinderte verändern wird
Foto: Lebenshilfe

Wuppertal. Das zentrale Anliegen des Bundesteilhabegesetzes ist für Stefan Pauls beinahe schon ein Meilenstein im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Wenn das Gesetz den Bundestag passiert, dann werden Behinderte in Deutschland künftig anders betrachtet. Dann geht es nicht mehr darum, alle über einen Kamm zu scheren und alle Hilfe gleich zu verteilen. Dann geht es um die Frage, was jeder einzelne Mensch in seiner speziellen Situation benötigt, um möglichst normal am Leben teilnehmen zu können.

„Es geht nicht mehr um das Problem, es geht um die Lösung“, sagt Pauls, der die Wuppertaler Lebenshilfe leitet. Die gemeinnützige Gesellschaft kümmert sich um Menschen mit geistiger Behinderung. Sie betreibt Werkstätten, in denen diese Menschen Produkte herstellen wie zum Beispiel Seifen in Form der weltberühmten Schwebebahn oder Reifen für Hochzeitskleider. Sie bedrucken Becher, nehmen marktwirtschaftlich orientiert am Wettbewerb teil.

Die Welt ist nicht heil, sie ist hart für die Behinderten, für ihre Betreuer und auch für die Lebenshilfen. Betreuung und Therapie sind Geldfragen. Und das Geld reicht nie. Das Bundesteilhabegesetz will erreichen, dass die Preisspirale nicht länger nach oben verläuft.

Für die Behinderten in Deutschland könnte das ernsthafte Folgen haben. Zwischen Flensburg und Passau, Aachen und Dresden leben 7,5 Millionen Schwerbehinderte. Vom Bundesteilhabegesetz sind 860 000 betroffen. Davon wiederum 500 000 sind geistig behindert, Menschen also, um die sich unter anderem die Lebenshilfen kümmern. Sie werden teils in eigenen Wohnungen betreut, möglichst alle sollen arbeiten. „Das ist Teil der Therapie“, erklärt Pauls.

Der Gesetzgeber sieht das allerdings anders. Er will, dass Arbeit von Behinderten in Zukunft einen wirtschaftlichen Nutzen hat und sei er noch so klein. In NRW ist das bisher kein Kriterium. Die Lebenshilfen demonstrieren am Mittwoch um 11 Uhr vor dem Landtag unter anderem dafür, dass das so bleibt. Sie fordern, dass die Landesregierung sich dafür in Berlin einsetzt.

An anderer Stelle wünschen sie sich mehr Klarheit. So sieht das neue Gesetz etwa vor, dass die „gemeinsame Erbringung von Leistungen an verschiedenen Leistungsberechtigten zur Regel werden“. Das klingt zunächst praktisch, kann für Behinderte aber Nachteile haben, dann nämlich, wenn ein „Leistungsempfänger“ zum Beispiel ins Kino gehen will, dabei aber betreut werden muss und keinen zweiten Kinogänger findet. Dann könnte es sein, dass er die Hälfte der Betreuungskosten selbst tragen muss.

Für Stefan Pauls ist das ebenso ein Unding wie die Tatsache, dass Menschen mit Behinderung nicht ordentlich sparen dürfen, wenn sie im betreuten Wohnen leben. Alle Mehreinnahmen über 2600 Euro im Monat müssen sie an den Landschaftsverband überweisen. Rücklagen fürs Alter zu bilden, ist damit schwierig.

Das wiederum kann zu Problemen führen. Denn in Zukunft sollen die heute noch pauschal abgegoltenen Pflegekosten auf 266 Euro im Monat begrenzt werden. „Das reicht nicht“, erklärt der Lebenshilfe-Geschäftsführer. Die Folge: Die Behinderten zahlen drauf. Haben sie das Geld nicht, können Lebenshilfen betreutes Wohnen womöglich nicht mehr in der bewährten Form anbieten.

Grundsätzlich soll sich auch das Verfahren ändern, nach dem der Grad von Behinderung bemessen wird. Dafür hat der Gesetzgeber neun Kriterien vorgesehen, von denen fünf erfüllt sein müssen. „Das birgt die Gefahr, dass Menschen mit geistiger Behinderung durch das Raster fallen können“, kritisiert Pauls. Zwar heiße es aus Kreisen der Politik, auf Behinderte solle das Verfahren keine Anwendung finden. „Aber im Gesetz steht das so nicht. Wir brauchen aber Planungssicherheit für diese Menschen.“

Für die 860 000 Menschen in Deutschland, die vom Teilhabegesetz betroffen sind, hat der Bund im Jahr 2014 etwa 26 Milliarden Euro ausgegeben, das sind etwa 30 000 Euro pro Person und Jahr, 2500 Euro im Monat.

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