Ehrenamtlich Recht sprechen: Schöffen in NRW gesucht

Die Städte und Gemeinden in NRW suchen für die neue Amtsperiode 2019 Tausende Schöffen. Der Wuppertaler Lehrer Silvio Geßner ist seit Jahren als Laienrichter aktiv.

Ehrenamtlich Recht sprechen: Schöffen in NRW gesucht
Foto: Kristin Dowe

Wuppertal. Silvio Geßner kann sich noch gut erinnern, als er zum ersten Mal als Hauptschöffe bei der Jugendstrafkammer am Landgericht Wuppertal zu einem Strafverfahren geladen wurde. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie so etwas abläuft und war ziemlich aufgeregt“, gibt der 37-Jährige offen zu. Anders als bei anderen Schöffenaktivitäten erfordert der Einsatz an der Jugendstrafkammer eine „erzieherische Befähigung“ der Jugendschöffen, die sich beispielsweise aus dem beruflichen Hintergrund des Anwärters oder aus ehrenamtlichen Tätigkeiten, etwa bei einer Jugendorganisation, ergeben kann. Diese Voraussetzung war bei dem Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften an einer Gesamtschule durchaus gegeben.

Menschen wie ihn suchen die Gerichte in Nordrhein-Westfalen zurzeit händeringend, denn in den kommenden Jahren werden nach Angaben des NRW-Justizministeriums Tausende der ehrenamtlichen Laienrichter für die neue Amtszeit 2019 bis 2023 benötigt. Rund 20.000 Schöffen sind aktuell in Nordrhein-Westfalen aktiv — davon allein 8600 im Strafbereich. Eine genaue, zentral erfasste Zahl über den Bedarf gibt es allerdings nicht.

„Die Bereitschaft, sich als Schöffe zu engagieren, wird immer größer. Dazu trägt unsere Zusammenarbeit mit den Kommunen einiges bei“, sagt Brigitte Frieben-Safar, Vorstandsmitglied im NRW-Landesverband der Deutschen Vereinigung der Schöffen, auf Anfrage. Die Schwierigkeit, geeignete Kandidaten für das verantwortungsvolle und interessante Ehrenamt zu finden, liege woanders: „Vor allem Angestellte haben es schwer, ein Schöffenamt mit ihrem Arbeitgeber zu koordinieren. Der Job ist dann der größte Bereitschaftskiller.“

Silvio Geßner hat seine Entscheidung für das Schöffenamt nie bereut. „Ich wollte gerne etwas Ehrenamtliches machen und fand es immer schon reizvoll, einen Einblick in den Alltag anderer Berufsgruppen zu bekommen. Dann bin ich auf die Ausschreibung der Stadt Wuppertal im Internet gestoßen“, erinnert er sich. Beworben hatte er sich als Hauptschöffe sowohl am Landgericht Wuppertal als auch bei dessen Jugendstrafkammer. Neben den Hauptschöffen verfügen die Gerichte über ein gewisses Kontingent an Hilfsschöffen, die bei Bedarf einen Hauptschöffen vertreten können. Werden diese in ein Strafverfahren eingebunden, sind sie verpflichtet, alle Sitzungstermine wahrzunehmen. Grundsätzlich kann jeder zum Schöffen berufen werden, der mindestens 25 und höchstens 69 Jahre alt ist. Dabei gibt es nur wenige Ablehnungsgründe, wie etwa eine Vorstrafe des Amtsanwärters.

Nachdem angehende Schöffen über ihre Berufung benachrichtigt wurden, müssen sie einen Eid darüber leisten, dass sie sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlen und „nach bestem Wissen und Gewissen und ohne Ansehen der Person“ urteilen werden. „Vor meinem ersten Verhandlungstermin gab es einen kleinen Workshop für die Schöffen, in dem man uns über die wesentlichen Abläufe informiert hat. Ich war positiv überrascht, dass uns die Richter sehr auf Augenhöhe behandelt und alle unsere Fragen geduldig beantwortet haben“, sagt Geßner. „Immerhin wiegt unsere Stimme als Schöffe bei der Urteilsbildung ja auch genauso schwer wie die des Berufsrichters.“ Dabei gehe es in der Kammer hinter der Kulissen oft durchaus kontrovers zu.

„Wenn sich gar keine Einigkeit herstellen lässt, wird bei der Strafzumessung auch abgestimmt“, erklärt Johannes Pinnel, Sprecher des Landgerichts Wuppertal. Ganz bewusst sollen die Schöffen von Berufs wegen keinen juristischen Hintergrund haben und die Stimme des Volkes repräsentieren. Sie verfolgen das Verfahren aus derselben Perspektive wie ein Zuschauer — Einsicht in die Gerichtsakten erhalten sie nicht.

Geßner hatte seinen ersten Einsatz als Schöffe bei der Jugendstrafkammer, wo einem Jugendlichen schwere räuberische Erpressung vorgeworfen wurde. Um gerade mal fünf Euro von einem anderen Jugendlichen zu erpressen, hatte der junge Mann diesem ein Messer an die Kehle gedrückt. „Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, als ich dem Angeklagten das erste Mal auf dem Gang begegnet bin. Mein erster Gedanke war: Was für ein armer Kerl“, berichtet Geßner. „Man erhält ja auch einen Eindruck von der Lebensgeschichte des Angeklagten und kann nur vermuten, welche Faktoren ihn zu einer solchen Tat bewogen haben.“

Ein Perspektivwechsel vollzog sich bei Geßner spätestens, als das Opfer der Tat seine Aussage machte. Er habe sich ausrechnen können, was der junge Mann durchgemacht habe, so Geßner. „Insofern erlebt man als Schöffe öfters ein Wechselbad der Gefühle.“

Geärgert hat ihn derweil die scheinbare Gleichgültigkeit einiger jugendlicher Zeugen, die an dem Verfahren teilgenommen hatten: „Die kommen da mitunter mit einer Einstellung reingestiefelt, als ob sie das alles gar nicht interessiert. Offenbar war den Jugendlichen gar nicht bewusst, wie wichtig so eine Zeugenaussage für ein Verfahren sein kann.“

Mitunter müsse er als Schöffe auch schon mal auf Abstand gehen, wenn etwa ein emsiger Verteidiger während einer Prozesspause versucht, ihn bei einem freundlichen Smalltalk im Sinne seines Mandanten zu beeinflussen. „In solchen Situationen gehe ich sofort auf Distanz.“ Grundsätzlich kann Silvio Geßner das Schöffenamt vor allem aus einem Grund wärmstens weiterempfehlen: „Man kann dabei seine Lebensrealität mit einbringen.“

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