Die Retter der dicken Brummer

Ausgerechnet ein Hersteller von Insektenvernichtungsmitteln macht sich für die Stubenfliege stark. Und damit Werbung.

Bielefeld. „Seit der Aktion kann ich keine Fliege mehr plattmachen“, sagt eine Bewohnerin des Bielefelder Stadtteils Deppendorf. Solche Sätze lassen die Schweizer Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin jubeln. Ihr Plan ist aufgegangen. Umdenken durch Kunst. Und das in Ostwestfalen, dessen Bewohnern man gern eine Portion Störrigkeit un- terstellt.

Am Anfang stand ein schnöder Gedanke: Das Bielefelder Familienunternehmen Reckhaus, das seit 50 Jahren Insekten bekämpft, wollte trotz begrenzter Werbemittel eine neuartige Fliegenfalle bekanntmachen. Auf der Suche nach einer Idee wandte sich Unternehmer Hans-Dietrich Reckhaus an die beiden Schweizer Künster.

Mit anderen Aktionen hatten die Riklins, bei denen man nicht immer weiß, welcher der Zwillinge wer ist, bereits auf sich aufmerksam gemacht. So gründeten sie mit ihrem „Atelier für Sonderaufgaben“ 2009 in einem Bunker ein Null-Sterne-Hotel, eine Kritik am Luxuswahn.

Die Zwillinge drehten den Wunsch von Reckhaus nach Werbung um 180 Grad: „Wir wollen gerade nichts mit Werbung zu tun haben“, sagt Patrik. „Uns geht es um ernst gemeinte Veränderung. Ziel ist eine Gegenbewegung zur Insektenvernichtung.“ Im Zentrum stand die Frage: Was ist eine Fliege Wert?

Am 1. September waren dann die Deppendorfer aufgefordert, Stubenfliegen zu fangen und bei den Riklins abzugeben, lebendig wohlgemerkt. 902 Fliegen kamen zusammen und siedelten ins eigens angefertigte Fliegenhotel um. Höhepunkt war die Verlosung eines Wellness-Wochenendes in Bayern.

Eine der Fliegen — sie wurde Erika getauft — durfte mit dem Gewinner nach München fliegen. Die Bordkarte wurde auf den Namen „Fliege Erika“ ausgestellt und sie bekam mit ihrem Transportbehälter einen eigenen Sitz. „Das war das weltweit erste Ticket für eine Fliege“, versichert Frank Riklin.

Unternehmer Reckhaus hat die Idee ausgebaut, sie soll keine Eintagsfliege bleiben. Sie funktioniert ähnlich wie der CO2-Ausgleich für Flugreisen (Kasten). Biologen errechneten, wie viele Insekten vermutlich durch die neuen Fliegenfallen umkommen werden. Vorbeugend wurde ein Dach der Firma in ein Biotop für Insekten umgewandelt.

Will er so sein Gewissen und das der Käufer beruhigen? „Vielleicht auch“, sagt Reckhaus. „Ich bin nicht so grün zu sagen, es darf kein Insekt mehr getötet werden.“ Er kann sich aber vorstellen, die Firma mit 50 Beschäftigten auf die Schaffung von Insektenausgleichsflächen umzustellen. „Insektenvernichtungsneutrale Produktion“, nennen das die Zwillinge aus St. Gallen. „Die Absurdität soll Debatten auslösen.“

901 Fliegen wurden nach ihrem natürlichen Tod in einer Holzschachtel in Deppendorf begraben. An einer Kurve haben die Konzeptkünstler eine Gedenktafel errichtet. Unbekannte haben Blumen und Kerzen dazugestellt.

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