Wetter Der Soundtrack des Regen-Sommers wird 20

Vor 20 Jahren passte alles zusammen: Das Wetter war schauderhaft, in England stand die EM an — und eine unbekannte Band kramte Rudi Carells „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ hervor.

Entertainer Rudi Carrell steht mit Zeitungen und Pelzjacke im November 1975 bei windigem Wetter auf einem Flugplatz. In diesem Jahr veröffentlichte er seinen Hit "Wann wird es mal wieder richtig Sommer." Die Band "Creme 21" ließen den Hit 1996 wiederaufleben. (Siehe Video)

Entertainer Rudi Carrell steht mit Zeitungen und Pelzjacke im November 1975 bei windigem Wetter auf einem Flugplatz. In diesem Jahr veröffentlichte er seinen Hit "Wann wird es mal wieder richtig Sommer." Die Band "Creme 21" ließen den Hit 1996 wiederaufleben. (Siehe Video)

Foto: Dieter Klar

Köln/Frankfurt. Nach der „Harald Schmidt Show“ vom 9. Mai öffnete sich für „Creme 21“ der Chart-Himmel. Schmidt hatte in seiner Sat.1-Sendung gerade Sportreporter Waldemar Hartmann mit Ausblicken auf die Fußball-Europameisterschaft und sanftem Spott übergossen, zum Schluss durfte die unbekannte Frankfurter Band mit einem Remake von Rudi Carrells „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ auf die Bühne — und hielt sich zwölf Wochen in den Hitparaden. Denn anders als bei Carrells Erstveröffentlichung 1975, war der Sommer 1996 (mit Ausnahme des deutschen EM-Siegs) tatsächlich ein kompletter Reinfall.

Mit einer Durchschnitts-Temperatur von 17,2 Grad, rund 17 Prozent zu viel Regen für die Jahreszeit und entsprechend nur 97 Prozent der zu erwartenden Sonnenstunden war der Sommer zu kalt, zu nass und zu grau. Bis zum Jahr 2011 gab es danach keinen mieseren Sommer mehr in Deutschland — Idealbedingungen für ein Lied, in dessen Text über das Wetter gejammert wird.

Richtig glücklich waren „Creme 21“ mit dem unfreiwilligen Hit aber nicht. Sie hatten den Carrell-Song ein Jahr zuvor ins Programm genommen, als sie auf etlichen Festivals noch ohne Gage als Aufwärmband meistens nachmittags auftraten. Das „Sommer“-Remake hatten sie zunächst nur als B-Seite einer Platte mit eigenen Titeln geplant, aber er kam deutlich besser an als der Rest ihrer Songs.

Auch Carrell hatte dem Sommer-Lied 1975 eigentlich keine große Bedeutung beigemessen, sich aber angewöhnt, jede Sendung „Am Laufenden Band“ mit einem neuen Lied zu eröffnen. Der Legende nach schrieb er mit seinem langjährigen Texter Thomas Woitkewitsch die Zeilen an einem Abend in seinem Bauernhof bei Bremen herunter, während die beiden einen Kasten Haake-Beck leer machten.

Besonders phantasievoll war das nicht: Die Melodie stammte von dem amerikanischen Song „City of New Orleans“, auf dessen Melodie der in Deutschland unbekannte niederländische Sänger Gerard Cox bereits den Text „`t Is weer voorbij die mooie zomer“ (deutsch: Der schöne Sommer ist wieder vorbei) gelegt hatte.

Dass das Original, in dem aus Protest gegen die Stilllegung von mehr als 60 Prozent der US-Personenfernzüge durch die Nixon-Regierung der Zug „City of New Orleans“ als amerikanisches Kultur-Erbe besungen wurde, es 1971 überhaupt in die US-Charts schaffte, verdankte sich ebenfalls einem Zufall. Er ist bis heute der einzige echte kommerzielle Erfolg von Arlo Guthrie, dem Sohn der Country-Legende Woody Guthrie (1912-1967, „This Land is your Land“). Dabei schrieb Arlo Guthrie „City of New Orleans“ nicht etwa selbst, sondern bekam den Song regelrecht aufgenötigt.

Arlo Guthrie (Jahrgang 1947) hatte 1971 bereits einigen Hippie-Ruhm geerntet. Er war 1967 auf dem Newport Folk Festival mit einem Sprechgesang-Stück über eine gescheiterte Musterung für den Vietnam-Krieg in Erscheinung getreten („Alice’s Restaurant Massacree“, 18 Minuten) und 1969 in Woodstock aufgetreten. Nach einem Auftritt in einer Bar in Chicago lauerte ihm mitten in der Nacht ein junger Mann auf und flehte ihn an, sich einen Song anzuhören. Guthrie erklärte, er hasse Songs, aber der Junge könne ihm ein Bier ausgeben. Wenn er es schaffe, den Song zu spielen, während Guthrie das Bier trinke, okay. „Es war eines der besseren Biere meines Lebens“, gab Guthrie Jahre später zu Protokoll.

Steve Goodman, der das Bier zahlte, hatte „City of New Orleans“ geschrieben und war überzeugt, dass der Song ein Hit werden könnte — falls er lange genug lebte. Goodman war noch kurz vorher ein unglücklicher Student an der konservativen Chicagoer Universität von Illinois gewesen. Singen hatte er in der Synagoge gelernt, dazu spielte er Gitarre. Mit 21 Jahren bekam er eine Leukämie-Diagnose. In der Erwartung, sehr bald sterben zu müssen, wollte er den Rest seines Lebens mit Musik verbringen. Am Ende wurde er 34 Jahre alt und veröffentlichte bis 1984 zehn Alben.

Wie oft „City of New Orleans“ gecovert und umgedichtet wurde, lässt sich kaum zählen. Unter den deutschen „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“-Varianten gehört die von „Creme 21“ bis heute zu den erfolgreichsten. Der Band bekam das nicht gut. 1998 spielten sie noch als Vorgruppe von „Pur“ bei einer Open-Air-Tour, ein Jahr später löste sich die Band auf. Ihre früheren Mitglieder schafften in kleineren Projekten noch ein paar Achtungserfolge, heute sind sie gelegentlich noch im Raum Frankfurt zu hören. In Cover-Bands.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort