Dashcam - Ein heikles Beweismittel

Wie lässt sich das widersprüchlich klingende Urteil des Bundesgerichtshofs erklären? Und was folgt daraus?

Dashcam - Ein heikles Beweismittel
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Düsseldorf. Lässt ein Autofahrer ständig eine Dashcam (s. Infokasten) mitlaufen, so ist das ein Datenschutzverstoß. Es droht eine Geldbuße. Passiert ein Unfall, dann dürfen die Aufnahmen aber dennoch als Beweismittel für die Klärung der Schuldfrage verwertet werden. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) erscheint widersprüchlich.

Dass ein auf rechtlich fragwürdigem Weg erlangtes Beweismittel verwendet wird, ist nicht neu. Man denke an die Steuer-CDs, die der Staat Leuten abkauft, die sie gestohlen haben. Mit den Daten werden dann Steuerbetrüger verfolgt.

In diesen und in den Dashcam-Fällen geht es jeweils um eine Abwägung: Soll man auf ein wichtiges Beweismittel und damit auf das Herausfinden der Wahrheit verzichten? Soll man die Steuer-CDS lieber nicht ankaufen, weil der Staat sich damit zum Hehler macht? Mit der Folge, dass Betrüger meist großen Formats ungestraft davon kommen? Auf Kosten der ehrlichen Steuerzahler. Oder im Dashcam-Fall: Soll man auf die rechtswidrig erstellten Kamerabilder verzichten und damit auch auf die Klärung des Unfallgeschehens und das Feststellen des Schuldigen? Solche Beweismittel müssen verwertet werden, sagt das Gerechtigkeitsgefühl.

Und müsste man dann nicht sogar noch viel weiter gehen als der BGH? Wäre es der Wahrheitsfindung nicht noch weitaus dienlicher, wenn man Dashcams serienmäßig in die Autos einbaut? Wenn nämlich jeder Verkehrsteilnehmer weiß, dass sein Fahrverhalten laufend von allen Seiten aus dokumentiert wird, wird er sich doch ganz sicher rücksichtsvoller verhalten.

Solche Argumente sprechen für noch viel mehr Kameraaugen im öffentlichen Raum als wir sie jetzt schon haben — in Bussen, Bahnen, an Bahnhöfen, in Geschäften. Und auch der BGH scheint daran kaum Schlimmes zu finden. Die Richter argumentieren, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer freiwillig in den öffentlichen Straßenraum begibt. Und sich durch Teilnahme am Straßenverkehr „selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer aussetzt“. Mittels Dashcam würden Vorgänge auf Straßen aufgezeichnet, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind. Mit anderen Worten: Was jeder sowieso sehen kann, darf doch wohl auch aufgezeichnet werden. Autofahrer, Fahrradfahrer, Fußgänger — sie alle müssen in Kauf nehmen, gefilmt zu werden.

Offenbar nicht bis zum BGH vorgedrungen ist die Argumentation der Richterkollegen vom Landgericht Heilbronn, die vor drei Jahren die Verwertbarkeit der Aufnahmen noch mit diesem Argument abgelehnt hatten: Eine Verwertung der Aufnahmen als Beweismittel würde bedeuten, „dass innerhalb kürzester Zeit jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem Pkw, sondern auch an seiner Kleidung befestigen würde, um damit zur Dokumentation und als Beweismittel zur Durchsetzung von möglichen Schadensersatzansprüchen jedermann permanent zu filmen und zu überwachen“.

Bei diesem Thema meldet sich auch die weitgehend aus dem politischen Blickfeld verschwundene Piratenpartei eindringlich zu Wort. Ihr Datenschutzexperte Patrick Breyer warnt: „Solche illegale Überwachungstechnik darf in unseren Läden nicht zu Geld gemacht werden. Dashcams dürfen nur auf Knopfdruck aktivierbar sein und nicht permanent aufzeichnen. Wir Piraten wollen nicht, dass Bürgerinnen und Bürger in einer Welt leben müssen, in der jede Bewegung aufgezeichnet und gegen uns verwendet werden kann. Andernfalls droht das Entstehen einer zunehmend gleichförmigen Misstrauensgesellschaft.“

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, teilt diese Ansicht. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte er: „Immer kostengünstigere moderne Technik darf nicht zu einer faktischen Totalüberwachung des öffentlichen Raums führen, weder durch den Staat noch durch sich gegenseitig überwachende Bürger“.

In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ entwarf die Hamburger Verkehrsrechtsanwältin Daniela Mielchen kürzlich dieses Szenario: „Sie wohnen in der Stadt, in einer Erdgeschosswohnung, vor Ihrem Haus befindet sich ein Parkplatz. Möchten Sie, dass die Autofahrer, die dort einparken, ständig in Ihr Wohnzimmer filmen? Wenn ein solches Szenario möglich ist, ist meine persönliche Meinung: Dashcams sollten aus den Autos verbannt werden.“

Festzuhalten bleibt: Auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs ist eine „permanente anlasslose Aufzeichnung des gesamten Geschehens auf und entlang der Fahrstrecke“ verboten. Die Richter haben sich technisch schlau gemacht: Längst sei es technisch möglich, „eine kurze anlassbezogene Aufzeichnung des Unfallgeschehens“ vorzunehmen.

Nun könnte man sagen: Wenn es geknallt hat, der Unfall also passiert ist, nützt es auch nichts mehr, dann schnell noch auf den Auslöseknopf der Kamera zu drücken. Doch hier wissen die Richter Rat, was die Hersteller tun können. In kurzen Zeitabständen sollten die erfolgten Aufzeichnungen wieder überschrieben und damit gelöscht werden. Und erst bei einer Kollision solle die dauerhafte Speicherung des zuvor aufgenommenen Geschehens ausgelöst werden.

Der Automobilclub ACV hat noch eine andere Idee, wie dem Datenschutz Rechnung getragen werden kann — mit einem „standardisierten Aufnahmemodus, der die Auslesbarkeit der Daten erst durch eine gerichtliche Anordnung ermöglicht.“

Damit solche Ideen rechtsverbindlich werden, müsste der Gesetzgeber sie freilich erst einmal umsetzen. Angesichts des für viele Menschen sehr relevanten Themas dürfte es damit nach dem gestrigen Urteil höchste Zeit werden.

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