Das San Luca im Rheinland

Der gesuchte Giovanni Strangio lebte mit seiner kalabrischen Sippe in Kaarst.

Kaarst. Immer noch überkommt den Kaarster ein leichtes Gruseln, wenn er an der Pizzeria "Toni’s Pizza" in Holzbüttgen vorbeifährt. Vor einer Woche, in den Morgenstunden, kamen vermummte Polizisten in die Königstraße. Sie durchkämmten das Restaurant und nahmen vorübergehend den einen oder anderen Pizzabäcker fest. Auch die Pizzeria "San Michele" an der Martinusstraße wurde genau unter die Lupe genommen. Die Läden sollen Mitgliedern des kalabrischen Strangio-Nirta-Clans gehören - dem Teil der ’Ndrangheta, der mutmaßlich die Mafia-Morde in Duisburg in Auftrag gegeben hat.

Vielleicht ist der Chef von "Toni’s Pizza" sogar einer der Killer. Giovanni Strangio, der aus Siderno in Kalabrien stammt, wird zumindest von der Polizei Duisburg als einer der Tatverdächtigen für den Überfall auf sechs Mitglieder der verfeindeten Familie Pelle-Romeo gesucht.

Strangio galt in der beschaulichen Schlafstadt Kaarst lange als Vorzeige-Italiener von nebenan. Selbst die Polizei war Stammgast in seiner Pizzeria ("klein, aber fein") in Holzbüttgen. Es gab auch einen Pizza-Taxi-Service. Erst vor kurzem war die Pizzeria in ein größeres Ladenlokal einige Hausnummern weiter an der Königstraße umgezogen. Ein paar Tage vor der Groß-Razzia in der vergangenen Woche hatte das Restaurant jedoch schon offiziell "wegen Urlaub" geschlossen.

Der 28-jährige Giovanni wusste, wie man wichtige Kunden pflegt. Legte etwa ein Polizist einen Zehner für die Steinofen- Pizza auf den Tisch, gab es acht Euro Wechselgeld zurück. "Toni’s Pizza war immer sehr beliebt", sagt ein Polizist.

In dem 45 000-Einwohner-Ort vor den Toren Düsseldorfs hatte es sich der Strangio-Clan bequem eingerichtet. Paolo Nirta und seine Partnerin Angela Strangio waren als Besitzer einer Wohnung im Ortsteil Holzbüttgen eingetragen. "Die waren aber dort nie anzutreffen", sagt der Polizist. Dafür Dutzende andere Kalabrier. Acht Wohnungen in Kaarst wurden von der Sippe bewohnt. 25 bis 30 Motorroller waren auf die Strangios angemeldet.

Die Polizei stand sogar mehrfach vor der Haustür von Paolo Nirta, es soll sogar schon einmal einen Haftbefehl gegen den Italiener gegeben haben - allerdings wegen Verkehrsvergehen. Nirta schickte damals die geforderten Papiere aus Italien nach Deutschland.

Eine Kaarsterin will beobachtet haben, wie einer der Pizzabäcker von nebenan auf einem Kopierer Ausweise vervielfältigt habe. Vor drei Jahren soll das Landeskriminalamt schon einmal in einer Kaarster Wohnung gewesen sein, sagt eine andere Nachbarin. "Da wussten wir nie, wie viele Italiener eigentlich in der Wohnung leben. Da ging es immer laut zu."

Am Morgen nach der Bluttat von Duisburg waren die Strangios und die Nirtas plötzlich aus Kaarst verschwunden. Halb ausgetrunkene Gläser auf den Tischen verrieten dem Spezialeinsatzkommando der Polizei, die am Freitag vergangener Woche auch mehrere Wohnungen durchsuchten, dass die Italiener überstürzt aufgebrochen waren. Allerdings wusste die Mordkommission in Duisburg schon mindestens zwei Tage vor dem SEK-Einsatz von den Strangio-Nirtas in Kaarst. Warum man nicht schneller reagierte? "Dazu sagen wir aus ermittlungstaktischen Gründen nichts", erklärt ein Sprecher der Duisburger Polizei.

Mafiosi im Rheinland sind allerdings nichts Neues. Bereits Ende der 90er Jahre wurde in Dormagen ein junger Mafia-Killer verhaftet. Er hatte in Sizilien einen Auftragsmord verübt, war danach zu einem Verwandten in eine Pizzeria in Dormagen geschickt worden und arbeitete dort als Tellerwäscher. Auch in Willich (Kreis Viersen) wurde vor Jahren ein mutmaßlicher Mafia-Mörder verhaftet.

Fehde Wegen eines Karnevalsböllers tobt seit Anfang der 90er Jahre im süditalienischen San Luca, der Hochburg der Mafia-Organisation ’Ndrangheta, eine mörderische Fehde zwischen den einst verbündeten Familien Strangio-Nirta und Vottari-Romeo-Pelle. Wegen der Häufigkeit etwa des Namens Strangio in Kalabrien ist damit jedoch nicht automatisch die Clanzugehörigkeit ausgedrückt.

Namensgleichheit Der gesuchte Giovanni Strangio aus Kaarst gehört tatsächlich zum Strangio-Clan. Der wollte sich in Duisburg an dem Pelle-Clan für den Mord an Maria Strangio rächen, der Ehefrau seines Clan-Bosses Giovanni Nirta. Der Giovanni Strangio wiederum, der vorgestern in San Luca verhaftet wurde, gehört trotz seines Namens dem Pelle-Clan an. Sein Bruder Sebastiano war eines der Duisburger Opfer.

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