Befürchtung: Viele wertvolle Stücke verloren

Nach dem Schock befürchten Experten, dass viele kostbare Stücke verloren sind.

Köln. Im November vergangenen Jahres legte die Kölner Verwaltung einen ersten Entwurf für eines Kulturentwicklungsplans vor, in dem ein zentrales Kapitel dem "Gedächtnis der Stadt" gewidmet war.

Darin wurde neben den historischen Architekturzeugnissen vor allem die reiche Kölner Archivlandschaft mit dem Historischen Archiv als Prunkstück betont. Am Ende des Abschnitts steht der mahnende Satz: "Ein Neubau des Archivs ist eine unabweisbare Maßnahme".

Dieser Satz hat nun durch den Einsturz des Archivgebäudes in der Kölner Severinstraße eine grausige Bestätigung erfahren. Pathetisch formuliert hat die Stadt nach den Zerstörungen 1943 nun auch noch ihr Gedächtnis verloren.

Die Liste der privaten Nachlässe im Archiv umfasste allein 780 Positionen und reicht von dem Soziologen Hans Mayer über den Architekten Oswald Maria Ungers bis zum Komponisten Jacques Offenbach. Der eigentliche Schatz des Hauses aber lag woanders.

Das Historische Archiv der Stadt Köln gilt als das größte kommunale Archiv diesseits der Alpen. 65000 Urkunden, 104000 Karten und Pläne und etwa 500000 Fotos machen die Geschichte der Stadt lebendig.

Die fast lückenlose Dokumentation von Ratsprotokollen von 1396 bis 1798 gewährt einen genauen Einblick in die politische Verwaltung einer mittelalterlichen Kommune. Aber auch die gesamte preußische Geschichte bis zu den Tagen Adenauers als Oberbürgermeister war hier dokumentiert. All diese Dokumente lagerten im Magazingebäude des Historischen Archivs und dürften nun unwiederbringlich verloren sein.

Natürlich war der Bestand reich an spektakulären Dokumenten wie beispielsweise der Gründungsurkunde der Kölner Universität von 1388 oder dem Reichsstadtprivileg von 1475. Doch es sind gerade die Aufzeichnungen des Ratsherrn Hermann Weinsberg, die zahllosen Quittungen, die Geburts- und Sterberegister oder die Handschriften, die die Kölner Bestände nicht nur für die Stadt, sondern für die Forschung weltweit zu einem unermesslichen Schatz machten.

Dass viele Dokumente verfilmt sind, dürfte dabei kein Trost sein. Vergoogelung hin oder her, wer je vor einer Urkunde aus dem 16. Jahrhunderts stand, weiß, was es mit dem viel benutzten Begriff der "Authentizität" auf sich hat.

Die Geschichte des Archivs reicht selbst bis ins 12. Jahrhundert zurück. Damals hatten allerdings die Dokumente noch in einer Kiste Platz. Als mit der Erhebung zur freien Reichsstadt die Bestände wuchsen, wurde 1406 ein eigenes Archivgewölbe im Rathaus eingerichtet.

Im 19. Jahrhundert stand die nächste Erweiterung bei St. Gereon an, und 1971 bezog man schließlich das Haus in der Severinstraße, dessen Magazingebäude damals wegen seiner natürlichen Klimatisierung als vorbildlich galt. Inzwischen platzte der Bau allerdings aus allen Nähten, war dringend sanierungsbedürftig und erste Pläne wurden auf der Tagung eines Expertengremiums vor gerade einmal drei Wochen diskutiert.

Ob die Ursache des Unglücks im U-Bahnbau unter der Severinstraße zu suchen ist, wird zu klären sein. Sollte dem so sein, dürften die Segnungen des ÖPNV noch nie so teuer erkauft worden sein.

Kulturdezernent Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff hat umgehend versichert, es werde jetzt der Notfallplan des Landes hervorgeholt. Für sofortige Restaurierung stehen die Landesrestauratoren in Düsseldorf und Münster bereit.

Der Enkel Konrad Adenauers, der Notar Konrad Adenauer, war entsetzt: "Der ganze Nachlass aus der Kölner Zeit bis 1945 lagerte dort. Für unsere Familie und die Stadt Köln ist das ein ganz schwerer Verlust." Er kritisierte in Richtung Stadt:

"Da muss ein schweres Versagen vorliegen. Es gab genügend Anzeichen, und der Einsturz hätte sicher vermieden werden können. Wenn man einen solchen Schatz hütet, ist es unverantwortlich, dessen Sicherheit auf die leichte Schulter zu nehmen."

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