Autobahnen als Müllhalde: Kommt ein Fernseher geflogen

Kühlschränke, Dixi-Klos und Klaviere: Warum sich auf Autobahnen vieles findet, was ganz und gar nicht dorthin gehört. Ohne Mithilfe aufmerksamer Autofahrer hat die Polizei keine Chance gegen die Umweltsünder.

Düsseldorf. Man könnte das eine Materialschlacht nennen, und Gunter Herring mag da nicht widersprechen. Der Düsseldorfer Polizeisprecher überlegt kurz, bevor er die Frage nach der Art der Gegenstände beantwortet. "Es fliegt so ziemlich alles durch die Gegend, was sich in Fahrzeugen verstauen lässt", sagt Herring dann. "Wir holen Dixi-Klos vom Asphalt, Sofa-Garnituren, Speiskübel und Stoßfänger."

15 000 Mal rückte die Polizei im vergangenen Jahr aus, um auf dem 700 Kilometer langen Autobahnnetz im Regierungsbezirk Düsseldorf "Ladungsverluste" zu bergen, wie das Strandgut im Polizeijargon heißt. Das sind durchschnittlich 41 Einsätze am Tag, zehn davon finden Erwähnung im WDR-Verkehrsfunk.

Nicht immer ist das lustig. Ein Kühlschrank, der in voller Fahrt vom Lkw fällt, verwandelt sich für die folgenden Autos zum mörderischen Geschoss. Ob sie mit dem Objekt kollidieren, ruckartig ausweichen oder stark bremsen: Immer herrscht Lebensgefahr. Im Jahr 2005 gab es allein im Regierungsbezirk Düsseldorf 975 Unfälle durch umherfliegende Ladung, elf Menschen wurden schwer verletzt.

Und dann gibt es da noch das zwei- oder vierbeinige Strandgut, das in der Regel nicht vom Kipper fällt, sondern aus eigenem Antrieb die Leitplanken überwindet. 455 Unfälle und vier Schwerverletzte durch "Personen oder Tiere auf der Fahrbahn" registrierte die Polizei im Regierungsbezirk Düsseldorf 2005.

Die deutsche Autobahn entwickelt sich zum Panoptikum des Alltags, ein Panoptikum übrigens, das mysteriösen Prinzipien gehorcht. So haben Liban und Heret durch Datenvergleiche herausgefunden, dass es donnerstags im Luftraum über den Pisten besonders gefährlich ist. Heret spricht von "regelrechten Horrortagen", ohne eine Erklärung dafür parat zu haben.

Zurück nach Nordrhein-Westfalen. Polizeihauptkommissar Herring interessieren weniger die Kuriositäten selbst als vielmehr die Ursachen ihrer Odyssee. "Viele Autofahrer unterschätzen den Winddruck und verstauen Dinge senkrecht auf dem Dach", sagt er. "Ab einer bestimmten Geschwindigkeit machen sich die dann selbständig."

Wachsame Autofahrer informieren die Polizei meist in Sekundenschnelle per Handy, umgehend wird die Warnung an den Verkehrsfunk weitergeleitet. Ein Streifenwagen reiht sich dann etwa zwei Kilometer vor dem Hindernis auf der linken Spur in den Verkehr ein und verlangsamt die Fahrt. Durch den so erzeugten zähen Verkehrsfluss bleibt Zeit für die Beamten, die Gegenstände vom Asphalt zu holen.

Warum sie von der Polizei ausgebremst werden, wissen die Autofahrer in der Regel nicht - und beschweren sich nicht selten per E-Mail über die vermeintliche Schikane. Herring runzelt die Stirn: "Manche meinen, wir erlauben uns einen Spaß auf Kosten der Autofahrer."

KLASSIKER Weihnachtsbaum, Auspuff, Stoßstange, großes Plüschtier, Fernseher, Reifenteile, Benzinkanister, Dachkoffer, Fahrrad, Rasenmäher, Spanngurte.

MONSTRÖSES Klavier, Schreibtisch, Fertighaus, Garagentor, Dixi-Klo, Baggerschaufel, Lkw-Hebebühne.

TIERE Dobermann, Entenfamilie, Wildschweinsippe, 500 Schafe, Rinderherde, Känguru, Waschbär, wilder Bulle.

MENSCHEN Alte Dame, Fahrradfahrer, Kinder, Jogger, fröhliche Zecher, Spaziergänger mit Hund.

MASSE Nach Schätzungen des Auto Clubs Europa (ACE) summiert sich das Gewicht verlorener Ladung und wilden Mülls auf 8000 Tonnen im Jahr.

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