Ambulanz für Onlinesüchtige: Abhängig vom Kick im Internet

Im Uniklinikum Bochum hat eine Ambulanz für Onlinesüchtige eröffnet. Zielgruppe sind vor allem junge Männer.

Bochum. In Bert te Wildts Büro stehen zwei Computerbildschirme, auf seinem Schreibtisch liegt ein Tablet-PC. Eigentlich nichts Besonderes. Doch in dem Raum im Bochumer Uniklinikum empfängt der Oberarzt seit Anfang Oktober Internetabhängige.

Da überrascht die technische Ausstattung schon. „Ich weiß, bei einem Alkoholsüchtigen stellt man auch keine Wodkaflasche in die Reichweite. Aber das Internet gehört zum Leben. Das kann man nicht komplett wegschließen.“

Das sei auch nicht Ziel der neuen Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum, so te Wildt. Vielmehr soll der richtige Umgang mit dem Medium gelernt werden.

Nicht jeder, der 30 Mal am Tag auf Facebook schaut, ist direkt süchtig. Gefährlich wird es erst, wenn Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit oder Aggressivität auftauchen, sobald kein Zugang zum Internet besteht. Bisher habe sich noch kein Patient bei ihm vorgestellt, der abhängig von Sozialen Netzwerken oder Plattformen wie Youtube ist.

„Auf Platz eins der Internetanwendungen mit Suchtpotenzial liegt mit Abstand das Computerspiel, auf Platz zwei Online-Sex, gefolgt von Sozialen Netzwerken“, sagt te Wildt, der die Ambulanz leitet.

Aus Leidenschaft wird Sucht, wenn das reale Leben an die zweite Stelle rückt. So vergessen Spieler, die teilweise 50 Stunden in Rollenspielen wie World of Warcraft abtauchen, zu essen und zu duschen. Der Kontakt zur Familie und zu Freunden bricht ab. Die Schule oder der Job muss warten, bis das nächste Level erreicht ist — auch wenn es Tage dauert.

Was aber macht die Faszination der Fantasiewelt aus? „Online kann man jemand anders sein“, sagt te Wildt. Vor allem in Rollenspielen, in denen sich die Teilnehmer eine virtuelle Identität — einen Avatar — erschaffen. „Was die Spieler bei der Stange hält, ist ein ausgeklügeltes Belohnungssystem“, erklärt der Oberarzt. Wer lange am Stück spielt, erhält eine bessere Waffe oder ein schöneres Gewand.

Betroffen sind vor allem junge Männer. „Erst eine Frau hat sich bei uns im ersten Monat gemeldet“, sagt te Wildt. Häufig sind es die Eltern, die in der Ambulanz anrufen und einen Termin für den Sohn ausmachen. „Der Betroffene muss allerdings mitarbeiten wollen, sonst bringt die Therapie nichts“, sagt te Wildt.

Die Behandlung findet dann in der Gruppe statt. Acht bis zehn Patienten tauschen sich einmal die Woche aus. „Es hilft, mit Gleichgesinnten zu sprechen.“ Für einige sind die Mitglieder seit langem die ersten sozialen Kontakte außerhalb der Online-Welt.

Ziel der Therapie ist, den Reiz auszulöschen: Es wird bewusst eine Situation herbeigeführt, die die Internetsucht weckt; dann müssen die Patienten aber dem Drang widerstehen, bis er nachlässt. Bei der Sucht nach Onlinespielen ist ein radikaler Schnitt wichtig. Das Lieblingsspiel ist ab sofort tabu, der Avatar muss gelöscht werden.

„Der verlorene virtuelle Kick kann beispielsweise gut durch realen Sport ersetzt werden“, erklärt der Leiter. So wird gemeinsam ein Ausflug in einen Kletterpark geplant oder ein Fußballspiel organisiert.

Wenn alles glatt läuft, ist die Behandlung in der Ambulanz nach 20 Sitzungen abgeschlossen. Doch wie bei allen Suchterkrankungen, bleibt es ein lebenslanger Kampf. Die Rückfallquote ist ähnlich hoch wie bei Alkoholikern. Nur die Hälfte schafft den Absprung aus der virtuellen Welt.

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