Wikileaks-Aussteiger zeigt Abgründe auf

Berlin (dpa) - Fünf Monate lang hat sich Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg zurückgehalten. In einem am Freitag erscheinenden Buch aber packt er aus, enthüllt höchst private Dinge über Projektgründer Julian Assange.

Dazu offenbart er, dass die bei den Regierenden gefürchtete Enthüllungsplattform „lange nur aus zwei Vollzeit-Leuten und einem Server“ bestand. Aus Sorge um die Sicherheit habe er Dokumente mitgenommen - Domscheit-Berg will sie wieder zurückgeben. Aber Wikileaks will rechtlich gegen den ehemaligen Sprecher vorgehen.

Die Entscheidung, Internes nach außen zu tragen, sei ihm sehr schwergefallen, schreibt der Informatiker in der Vorbemerkung von „inside Wikileaks. Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“. Auf einer Pressekonferenz sagte der Autor zwar am Donnerstag in Berlin: „Es ist kein Abrechnungsbuch“. Was Domscheit-Berg aber auf 300 Seiten ausbricht, ist eine höchst private Bilanz von drei Jahren an der Seite von Julian Assange.

Das Ausmaß der in dieser Zeit erfahrenen persönlichen Verletzungen offenbart der Autor in kleinen belanglosen Anekdoten: „Gab es vier Scheiben Leberkäse, aß er drei und ließ mir nur eine, wenn ich zu langsam war“. Auf die Frage, warum er auf solche Details eingehe, antwortete der Autor bei der Vorstellung des Buchs am Donnerstag in Berlin: „Das vermittelt ein Bild, was aus meiner Sicht wichtig ist.“

Assange, „dieser verrückte Australier“, habe sich in einem ständigen Kampf um Dominanz befunden, schreibt Domscheit-Berg. Davon sei nicht einmal sein Kater verschont geblieben: „Seit Julian bei mir in Wiesbaden gewohnt hat, leidet er unter einer Psychose.“ Dabei haben beide Wikileaks-Aktivisten, so schreibt der Autor, am Anfang ihres Projekts von einer Welt ohne Chefs und Hierarchien geträumt.

In den vergangenen Wochen haben Journalisten des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und der britischen Zeitung „The Guardian“ zwei gründliche Darstellungen zu Wikileaks und der davon kaum zu trennenden Biografie Assanges vorgelegt. Domscheit-Berg verspricht einen Blick hinter die Kulissen, einen Beitrag zu einer „korrekten historischen Aufzeichnung“. Was er erzählt, ist aber vor allem seine eigene Geschichte des Scheiterns einer Freundschaft, die bis zum Schluss ambivalent bleibt.

Einerseits bekennt der Autor, dass er Assange manchmal hasse. Andererseits führt er ihn in den Danksagungen auf. Einerseits klagt er, für Assange „meinen Job aufgegeben, meine Freundin, die Familie und Freunde vernachlässigt“ zu haben. Andererseits bekennt er, „dass ich die vergangenen Jahre gegen nichts in der Welt zurücktauschen würde“.

Die Netzgemeinde schaut zu und reibt sich verwundert die Augen. „Wir stehen gerade am Anfang einer umfangreichen Schlammschlacht“, schrieb Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) in einem Blog-Beitrag. „Der Gegner ist offensichtlich primär der einstige Freund.“ Und im Blog von Fefe heißt es: „Wir haben zwei große Kinder mit zu großem Ego.“

Zu Assanges Verhältnis gegenüber Frauen, das auch die in Schweden laufenden Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung beschäftigt, meint Domscheit-Berg zunächst, dieses sei nicht so plump gewesen, wie in den Medien dargestellt werde - nur um kurz darauf anzumerken: „Für Julian war das Kriterium, das eine Frau in seinen Augen begehrenswert machte, recht einfach: 22. Sie sollte jung sein. Und ihm war wichtig, dass sie ihn nicht in Frage stellte.“

Zu Wikileaks selbst sagt Domscheit-Berg, er glaube auch heute noch an die dahinter stehende Idee. Das Projekt war „vielleicht nur zu genial, um beim ersten Anlauf bereits zu funktionieren“. Der Aussteiger hat unter dem Namen Openleaks schon ein neues Projekt auf den Weg gebracht, das Dokumente nicht mehr selbst veröffentlichen, sondern nur als Briefkasten für Enthüllungen dienen will. Voraussichtlich im April kann Julian Assange seine Sicht der Dinge ausbreiten, da soll seine Autobiografie erscheinen.

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