Wie Software den Profifußball entzaubern will

Hannover (dpa) - Von wegen Schicksal, Zufall oder Pech: Fußball ist viel berechenbarer als bisher angenommen. Softwarefirmen und IT-Spezialisten zerlegen die Erfolgsgeheimnisse der deutschen Lieblingssportart.

Wie Software den Profifußball entzaubern will
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Jüngstes Forschungsobjekt: die Nationalmannschaft.

Es ist noch nicht lange her, als in der Fußballwelt ein Stückchen Papier mit Taktiknotizen zu Berühmtheit gelangte. Der WM-Spickzettel von Nationaltorwart Jens Lehmann kam 2006 nach dem „Sommermärchen“ sogar ins Bonner Haus der Geschichte. Torwarttrainer Andreas Köpke hatte Lehmann den Spicker vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien zugesteckt. Der Keeper verwahrte ihn unter seinem Stutzen und hielt zwei Elfer - womöglich auch dank dieser Hilfe.

Für die diesjährige Fußball-WM in Brasilien rüstet die Nationalelf nun auf. Der gute alte Spicker bekommt High-Tech-Konkurrenz und es ist das ganze Team dabei, nicht mehr nur die Torwarte. Deutschlands Profikicker tragen in der WM-Vorbereitung Sensoren unter den Stutzen. Videosoftware seziert ihre Spielzüge und die der Gegner - alles in der Hoffnung, dass die Kraft der Datenberge zum zwölften Mann wird.

Hinter der Technikoffensive am Spielerbein steht der Softwareriese SAP, der den Kniff beim Bundesligisten TSG Hoffenheim schon erprobt. Und SAP ist nicht alleine. IBM etwa hilft im Rugby-Sport mit Sensoren, Verletzungen der Spieler zu verhindern. Golfprofis analysieren ihre Schwünge, den Ballflug, Längen und Schlagpräzision nicht mehr nur mit Videosoftware. Sie bauen inzwischen sogar mobile Radaranlagen auf.

Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff ist schon Feuer und Flamme: „Das, womit wir uns aktuell am meisten beschäftigen, ist die Spielanalyse“, sagte er am Rande der Computermesse CeBIT (10. bis 14.03.). Außerdem habe SAP eine App für die Kommunikation des DFB mit den Profis entwickelt. „Damit sind wir im ständigen Austausch auch außerhalb der Länderspielzeiten.“ Das sei ein gelungenes Hilfsmittel, um die Chancen der Technik zu zeigen. So habe Nationaltorwart Manuel Neuer über die App vor dem jüngsten Länderspiel „vom Zimmer aus nach dem Mittagessen“ bei Torwarttrainer Andreas Köpke noch rasch die Elfmeterstatistik der Chilenen bestellt.

Die Grundidee der Kooperation mit SAP: Stärken und Schwächen sind in Echtzeit überwachbar und erlauben individuelle Trainingspläne, die Sensorik hilft Simulationen zu entwickeln, Mannschaftstaktiken können virtuell durchgespielt und feinjustiert werden. Was Trainer früher mit Kreide auf Taktiktafeln krakelten, läuft nun über Software auf dem Tablet-PC am Spielfeldrand. „Es geht vor allem um intelligente Auswertung und Analyse der Massendaten“, sagt SAP-Manager Fadi Naoum.

Bierhoff sieht in dem Analyseinstrument keine Revolution für den Trainerjob. „Es wird auch nicht das Bauchgefühl, das ein Trainer hat, verändern. Es wird auch keine Tore schießen - aber es wird vielleicht helfen, dass man das leichter erreicht.“ Die Kooperation mit SAP auf diesem Technikfeld sei exklusiv - zumindest bis zum Ende der WM.

Auch die Sportwissenschaft erforscht das Thema. Längst geht es dabei nicht mehr nur um die bloßen Statistiken rund um Passgenauigkeit, Laufleistung, Zweikampfstärke, Manndeckung oder Elfmeterprognosen. „Nur zu sagen, dass über die linke Seite viel los ist, reicht nicht mehr. Wir müssen wissen, warum denn über links so viel los ist“, erklärt Prof. Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln.

Er entwickelt mit Kollegen von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz Informatikmethoden, die gewöhnliche Videoanalysen erweitern. „Wir können Situationen aus dem Spielgeschehen herausfiltern, die für Erfolg relevant sind“, erklärt Memmert. Die Software lege sogar die Spielkreativität frei. Per Mausklick ließen sich binnen Sekunden etwa alle torgefährlichen Strafraumszenen isolieren und Entstehungsmuster offenlegen. Es gehe darum, den Prozess der Gruppendynamik und ihre Erfolgsgeheimnisse zu visualisieren. „Wir können valide beantworten, warum eine Abwehr oder ein Angriff so gut ist“, erklärt Memmert.

Und er denkt schon einen Schritt weiter. Der Analyse nach einem Spiel soll die Möglichkeit folgen, Szenarien virtuell durchzuspielen. Diese Simulation sei aber bisher nur in Ansätzen möglich. Weiter ist das Analyse-Tool namens Soccer schon bei der Talentsichtung. Die Forscher durchforsteten Datensätze von Jugendspielern im Auftrag eines „großen internationalen Teams“. Die Kriterien für das Clustern dürfe er nicht verraten. Nur so viel sagt Memmert: Gelte es eine bestimmte Position im Team mit Nachwuchs zu stärken, liefere die Software Kandidaten.

Redet der Computer bald mit bei den Kosten eines Profitransfers? Memmert glaubt das. „Es ist tatsächlich die Zukunft, weil man damit erstmals objektive Kriterien hat, um den Wert von Spielern mit Daten direkt aus dem Spiel heraus zu ermitteln.“ Entzaubert das den Sport? Memmert meint, der Faktor Mensch leide nicht, denn die Software biete nur Entscheidungshilfen. „Die Interpretation, die Trainer, Manager oder Talentsichter leisten, trennt auch weiter die Spreu vom Weizen.“

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