Fakten und Fälschungen Notwendige Aufklärung oder „Wahrheitsministerium“?

Neuland. Spätestens seit dem „Fall Lisa“ im Januar kann die Bundesregierung nicht mehr darüber hinwegsehen, wie russische Staatsmedien mit gezielter Desinformation in Deutschland Politik machen.

Im Januar demonstrierten in Berlin Russlanddeutsche wegen der (frei erfundenen) Vergewaltigung der 13-jährigen Lisa.

Im Januar demonstrierten in Berlin Russlanddeutsche wegen der (frei erfundenen) Vergewaltigung der 13-jährigen Lisa.

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert

Zur Erinnerung: Die 13-jährige Russlanddeutsche Lisa F. verschwand auf dem Weg zur Schule, tauchte einen Tag später wieder auf und berichtete, von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden zu sein — was frei erfunden war.

Es kam zu (offenbar) gesteuerten Demonstrationen Russlanddeutscher in Berlin, Bayern und Baden-Württemberg, der russische Außenminister machte „unser Mädchen Lisa“ in seiner Jahrespressekonferenz zum angeblichen Beispiel dafür, wie Merkel-Deutschland seine Bevölkerung der Gewalt von Flüchtlingen überlasse.

Der „Spiegel“ berichtete in der vergangenen Woche, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schwebe nun ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ vor, einzurichten beim Bundespresseamt. Der Vorschlag stieß prompt auf Ablehnung: „Das Dümmste wäre, ein Ministerium für Wahrheit zu errichten“, erklärten die Sprecher des Chaos-Computer-Clubs im Handelsblatt.

Der Deutsche Journalistenverband sprach gar von Plänen für eine „Zensurbehörde“ und ließ seinen Vorsitzenden feierlich schwadronieren, dass „dass es bereits hunderte von Abwehrzentren gegen Desinformation gibt. Das sind die Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenportalen und Rundfunksendern.“

In den westlichen Demokratien kontrollieren Medien die Regierenden, nicht umgekehrt; das ist die Idee der Pressefreiheit. Staatsmedien sind in dieser Ordnung nicht vorgesehen, weshalb schon der Einfluss der Politik auf die Unabhängigkeit der öffentlichen-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF problematisch ist. Das macht freie, offene Gesellschaften zugleich angreifbar für ausländische Propaganda-Sender autoritärer Staaten, zumal ethnische Minderheiten wie Russlanddeutsche und Deutschtürken häufig nicht von deutschen Medien erreicht werden. Der Grat zwischen Medien-Freiheit und staatlichem Schutz vor „Fake News“ ist schmal und die Gefahr groß, den rechtspopulistischen „Lügenpresse“-Schreihälsen noch mehr Munition zu liefern.

Das Thema beschäftigt nicht nur Deutschland. 2015 hat die EU auf Initiative vor allem der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die sich als erste der Destabilisierung durch Russlands hybride Kriegsführung ausgesetzt sahen, eine „East StratCom Task Force“ zur Aufklärung russischer Desinformation eingerichtet (siehe hier: euvsdisinfo.eu). Am 1. Januar 2017 richtet nun Tschechien mit 20 Mitarbeitern eine Spezialeinheit ein, um die Manipulationen von mehr als 40 tschechischen Fake-News-Diensten aufzuklären, hinter denen mutmaßlich der Kreml steckt (siehe dazu in englischer Sprache: goo.gl/RZ4sfn).

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