Musikindustrie: BGH-Entscheidung ist kein Freifahrtschein

Berlin (dpa) - Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der die Haftung von Eltern für den illegalen Musiktausch minderjähriger Kinder einschränkte, ist die Industrie um Schadensbegrenzung bemüht.

Das Urteil bedeute nicht, dass Eltern sich nach einmaliger Belehrung nicht mehr um das Surfverhalten ihrer Kinder kümmern müssten, warnte der Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, Florian Drücke, am Freitag.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am Donnerstag entschieden, dass Eltern grundsätzlich nicht für den illegalen Musiktausch ihres minderjährigen Kindes haften, wenn sie es ausreichend über das Verbot einer Teilnahme an Tauschbörsen im Internet belehrt haben und ihnen keine konkreten Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen vorlagen. Das Urteil bedeutete eine Schlappe für die Musikindustrie, die mehrere tausend Euro Schadenersatz und Anwaltsgebühren verlangte. In dem konkreten Fall hatte ein 13-Jähriger illegal Musik heruntergeladen und im Netz verbreitet. (Az. I ZR 74/12)

„Die aktuelle Erklärung des BGH sollte keinesfalls als ein Freifahrtschein für betroffene Eltern bzw. ihre Kinder zum "sorglosen Filesharing" missinterpretiert werden“, erklärte Drücke. „Welche Maßnahmen Eltern konkret zu treffen haben - vor allem auch bei wiederholten Rechtsverletzungen - bleibt mit Blick auf die Urteilsgründe abzuwarten.“ Es solle dabei auch nicht um eine Überwachung der Kinder gehen, sondern um ein frühzeitig gewecktes Bewusstsein für den Wert von Musik, Filmen oder Büchern.

Zumindest theoretisch sei denkbar, dass Kinder, die die erforderliche Einsichtsfähigkeit besäßen, selbst in Haftung genommen werden könnten, erklärte am Freitag der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke, der das Verfahren für die beklagten Eltern geführt hatte. Die Musikindustrie müsste in diesem Fall allerdings die erforderliche Einsichtsfähigkeit beweisen, was man wohl erst ab einem Alter von 13 bis 14 Jahren annehmen könne. „Derzeit ist noch völlig offen, ob es die Musikindustrie wagen wird, die Kinder selbst in die Haftung zu nehmen“, schränkte der Rechtsanwalt allerdings ein.

Zugleich sei unklar, inwieweit Eltern auf ihre Kinder verweisen können, ohne diese konkret zu belasten, ergänzte Solmecke. Es sei denkbar, dass schon die Möglichkeit ausreiche, dass ein im Haushalt lebendes Kind als Täter bei einer Urheberrechtsverletzung infrage komme. Er verwies als Beispiel auf den Fall einer Frau, die vom Oberlandesgericht Köln von der Haftung für eine Urheberrechtsverletzung befreit wurde. Sie hatte hinreichend plausibel dargelegt, dass ihr Ehemann als Täter infrage kommen würde. „Diese Rechtsauffassung ließe sich auch auf das Eltern-Kind Verhältnis übertragen“, argumentierte der Anwalt. „Konkret belasten müssten die Eltern ihr Kind aber nicht.“

Die BGH-Richter hatten festgestellt, dass es keine grundsätzliche Verpflichtung der Eltern gebe, „die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren“. Zu derartigen Maßnahmen seien sie nur dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass ihr Kind den Internetanschluss für Rechtsverletzungen nutzt - etwa aufgrund einer Abmahnung.

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